CHEMIE
"Je l'ai parfaite trois fois (Anmerkung: gemeint ist die Transmutation)
avec l'aide de Perenelle, qui l'entendoit aussi bien
que moi, pour m'avoir aidé aux 0pérations; et sans doute, si elle
eut voulu entreprendre de la faire toute seule, eile en seroit
venue à bout."
(Nicolas Flamel, 1330 - 1417)
Die frühe Chemie speiste sich aus drei Quellen: der Alchemie, der
praktischen Chemie und der Naturphilosophie. In alchemistischen
Zirkeln war die Teilnahme der Frau, wie das Zitat und die Abbildung
zeigen, nicht grundsätzlich unerwünscht. So befindet sich z.B.
in der Hamburger Staatsbibliothek die Schrift von Isabella
Cortese: 'Secreti medicinali artificiosi et alchemici', in der
Ausgabe Venedig 1665, sowie in der 1593 in Hamburg gedruckten
deutschen Übersetzung unter dem Titel: 'Frauen Isabella Cortese
Buch verborgener und heimlicher Künste.'
Aus einsichtigen Gründen lag den Frauen aber besonders die prak-
tische Chemie nahe - die hausfraulichen Pflichten umfaßten ja
noch zahlreiche Aufgaben, die heute von der angewandten Chemie,
der Diätetik und der Pharmazie bearbeitet werden, wobei die Grenzen,
einerseits zur Medizin und andererseits zur Botanik, durchaus
fließend waren. Die Hexenverfolgungen, die hier nicht unerwähnt
bleiben können, scheinen allerdings eher Frauen getroffen
zu haben, die aus ihren Tätigkeiten eine Profession machten. So
wurde die Kunst des "Wasserbrennens", d. h. die Destillation von
ätherischen Ölen, Branntwein, etc., zunächst von Frauen ausgeübt,
bis die später aufkommenden Apotheker sich dieses Gewerbes
bemächtigten - wenn auch noch 1651 in Nürnberg geschworene, d. h.
vor dem Rat der Stadt vereidigte, Frauen das "Säfft-Sieden"
betrieben. Immerhin gelang es einigen Frauen sogar, als Apothekerinnen
tätig zu werden:
MARIA ANDREÄ (1550 - 1632)
Nach dem Tode ihrer Mutter wurde sie von ihrer Großmutter erzogen,
erwarb die damals selbstverständlichen hauswirtschaftlichen
Kenntnisse und lernte Lesen und Schönschreiben; früh schon
übernahm sie die Versorgung bedürftiger Kranker. 1576 heiratete sie
einen Sohn des Theologen Jacob Andreä namens Johannes. Nach
seinem Tode 1601 ging sie als mittellose Witwe mit sieben Kindern
nach Tübingen, da seine alchemistischen Versuche das gesamte
Familienvermögen verschlungen hatten. 1607 wurde sie von der
Herzogin Sibylla von Würtemberg aufgefordert, die Hofapotheke in
Stuttgart zu übernehmen, ein Amt, das 1585 - 1597 schon Helene
Rückher innegehabt hatte. Auch Maria Andreä leitete die Apotheke
erfolgreich, bis sie nach dem Tode des Herzogs ihrer Gönnerin auf
den Witwensitz folgte. Nach deren Tode lehnte sie aus
Altersgründen Angebote aus Stuttgart und Leonberg ab, und zog zu ihrem
Sohn, dem Theologen Johann Valentin Andreä (1) nach Calw; dort
widmete sie sich weiterhin unermüdlich sozialer Arbeit, für die sie
öffentliche Anerkennung erhielt.
Sekundärliteratur:
Anna Blos: Frauen in Schwaben. Stuttgart 1929.
DOROTHEA BÜCHNER (*1608)
Eine Apothekerin aus Nürnberg. Das unter ihrem Portrait
abgedruckte Lobgedicht lautet:
"Diese ist die Edle Frau, so vortrefflich sich geübet,
In der Kunst der Artzeney: daher sie auch sehr beliebet;
Deren nimmer-müden Fleiß, Lob, Ehr, Ruhm und Tugend=licht
Bildet keine Künstlers-Hand, nur allein ihr Angesicht."
Ein persönlich geführtes Rezeptbuch mit Heil- Schönheits (2) und
Nutzmitteln führten viele Damen von Stand. Die heute noch
vorhandenen Manuskripte gehen bis ins 15. Jahrhundert zurück (3) und
reichen bis ins 19. Jahrhundert (4). In dem von v. Hohberg verfaßten
Werk 'Adeliges Land- und Feldleben', Nürnberg 1682, heißt es
hierzu: "also steht es einer löblichen edlen Haus-Mutter sehr
wohl an, eine nach ihrem Willen und Vermögen dienliche kleine
Apotheke einzurichten, darinnen sie im Notfall für eine und andere
Krankheit Zuflucht finden kann". Gelegentlich wurde ein so
gesammelter Erfahrungsschatz auch in Druck gegeben.
PHILIPPINE WELSER (1527 - 1580)
Geschichtskundigen ist sie sicherlich keine Unbekannte, ihre
pharmazeutischen Kenntnisse finden aber in historischen
Darstellungen gewöhnlich keine Erwähnung, waren jedoch nicht
unbeträchtlich. Ihr über 200 Rezepte umfassendes Manuskript befindet
sich in der Nationalbibliothek in Wien. Auch ihre Tante Loxan führte
ein solches Arzneibuch. Der Hofarzt Philippines, Dr. Georg
Handsch, schrieb große Teile davon ab und verleibte sie einem
seiner medizinischen Kompendien ein.
Sekundärliteratur:
Karl Beer: Philippine Welser als Freundin der Heilkunst.
In: Gesnerus 7 (1950) 80-86.
EVA DE LA GARDIE (1724 - 1741)
Wichtigste Werke:
Försök at tilverka bröd, bränvin, stärkelse och puder af potatos.
In: Vetenskaps academiens handlingar 9 (1748) 277-278.
Deutsche Übersetzung: Hamburg und Leipzig 1753. (Ak. d. Wiss.
Abh. 1748).
Beskrifning pa tval, som är tjenlig til bom-ulls-garns blekning.
In: Vetenskaps academiens handlingar 13 (1752-53) 57-59.
Deutsche Übersetzung: Hamburg und Leipzig 1755. (Ak. d. Wiss.
Abh. 1752).
An ihr zeigt sich, daß sich immer noch Frauen mit Geschick und
Findigkeit der "Wasserbrennerei" widmeten. Ihre Schrift über die
Verwertung der, Kartoffelstärke trug ihr die Ehrenmitgliedschaft
in der Schwedischen Wissenschaftsakademie ein, und wurde, wie
auch die folgende über Bleichverfahren, ins Deutsche übersetzt.
Erst mit der Quantifizierung der Chemie wurde diese im heutigen
Sinne eine strenge Naturwissenschaft.
JANE MARCET (1769 - 1858), geborene Haldiman
Wichtigste Werke:
Conversations an Chemistry, intended more especially for the Fe-
male sex. 2 Bände. London 1806, sowie 20 weitere Auflagen.
Deutsche Übersetzung von F. F. Runge, Berlin 1839.
Conversations an Vegetable Physiology. London 1835, sowie 12 wei-
tere Auflagen.
Conversations an Land and Water. London 1843, sowie 3 weitere
Auflagen.
Conversations an Natural Philosophy. London 1819, sowie 13 weitere
Auflagen.
Sie wurde in London als Tochter Schweizer Eltern geboren, und
wurde von ihrem Mann, dem Schweizer Physiker und Chemiker Alexander
Marcet, den sie 1799 geheiratet hatte, in ihren wissenschaftlichen
Interessen bestärkt. Dieser arbeitete gemeinsam mit Berzelius
und konnte ihr so durch Bekanntschaften und wissenschaftliche
Schriften die neuesten Informationen auf dem Gebiet der
Naturwissenschaften zugänglich machen. Sie warf sich auf die
populärwissenschaftliche Schriftstellerei. Hierin war sie äußerst
erfolgreich, wie die häufigen Neuauflagen zeigen. Die anonym
erschienene Erstausgabe (erst die 13. Auflage erschien unter ihrem
Namen) ihrer 'Conversation an Chemistry' wurde übrigens zu einem
Buchbinder gegeben, bei dem Faraday in der Lehre war, und er
schrieb später, er sei durch dieses Buch für die Wissenschaft
gewonnen worden. Er unterließ es tatsächlich nie, Mrs. Marcet ein
Exemplar jeder seiner Publikationen zu senden.
MARGARETHE VON WRANGELL (1877 - 1932)
Sie stammte aus baltischem Adel, und ihre Familie, mit Ausnahme
ihrer Mutter, die selbst in ihrer Jugend ihren Bildungswunsch nur
widerwillig zurückgestellt hatte, hielt ihren festen Beschluß zu
studieren - und "sollte es mich mein letztes Armband kosten" -
für eine "wahnwitzige Emanzipationsidee. Auf ihre Anfragen hin
wurde ihr dringend abgeraten, das Studium in Greifswald oder in
Marburg aufzunehmen, da die betreffenden Professoren ihr keinesfalls
die Hörergenehmigung erteilen würden. "Auch die Stimmung
der Studierenden ist, wie auch auf anderen kleineren Universitäten,
in denen das Verbindungswesen eine große Rolle spielt, den
studierenden Damen abhold", wie Prof. E. Kaiser ihr 1904 schrieb.
"Tübingen erwies sich als die geeignetste Universität für eine
Studentin. Das Stuttgarter Mädchengymnasium entließ damals seine
ersten Abiturientinnen, die in Tübingen unter den denkbar
günstigsten Verhältnissen aufgenommen wurden... Man kann sich heute
kaum mehr eine Vorstellung davon machen, welchen Staub es
aufwirbelte, als diese ersten Abiturientinnen mit vorschriftsmäßiger
Vorbildung, die sie zum erstenmal in einer vom Staat anerkannten
Schule sich erworben hatten, ihren Einzug in der alten Universi-
tätsstadt hielten" (aus den Erinnerungen ihrer Mutter), und so
nahm sie dort 1904 das Studium der anorganischen Chemie auf, das
sie 1909 mit der Promotion 'Isomerieerscheinungen beim Formy-
glutaconsäureester und seinen Bromderivaten' abschloß. Ihr Lehrer
Wislicenus empfahl sie William Ramsay, dort arbeitete sie über
Thorium und danach - "die beiden Gebiete, die mich hauptsächlich
interessieren, sind Tautomerie und jetzt Radioaktivität" (aus ei-
nem Brief an Wislicenus 1911) - bei Marie Curie in Paris. 1912 -
1918 leitete sie eine landwirtschaftliche Versuchsstation in Re-
val, obwohl ihr der Abschied von der reinen Wissenschaft zunächst
schwerfiel. Unter dem Eindruck der Schrecken der Kriegszeit
wandte sie sich jedoch mit ganzem Herzen der Agrikulturchemie zu:
"Ich genoß die Möglichkeit, still und ohne viel Berührung mit der
Außenwelt wissenschaftlich arbeiten zu können; ich wollte so we-
nig wie möglich mit Menschen zu tun haben, die sich mißverstehen
und verfolgen. Ich lebte mit den Pflanzen; ich legte das Ohr an
den Boden, und es schien mir, als seien die Pflanzen froh, etwas
über die Geheimnisse ihres Wachstums erzählen zu können." Der
letzte Satz wurde übrigens auch für ihren Gedenkstein ausgewählt.
1920 habilitierte sie sich mit der Arbeit 'Phosphorsäureaufnahme
und Bodenreaktion' und wurde beauftragt, das Institut für Pflan-
zenernährung an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim
aufzubauen. 1923 wurde sie als erster ordentlicher Professor des
neuerrichteten Instituts berufen, "ich bezog es als erste weibli-
che Oriinaria Deutschlands" (aus einer autobiographischen Skizze
1929). Die schon gewohnten Anfeindungen hörten damit allerdings
nicht auf:
"Zur Zeit, wo ich nun endgültig in meinem Amte als ordentlicher
Professor bestätigt werden sollte und auch wurde, setzten erneut
der Kampf und die Intrigen meiner Gegner ein. Es hat sich in
letzter Zeit erwiesen, daß meine wissenschaftlichen Behauptungen
und meine Arbeiten, die zuvor von meinen Gegnern angezweifelt
wurden, wichtig und voller Bedeutung sind. Nun setzen sie den He-
bel an anderer Stelle ein und behaupten, die Sache sei nun schon
richtig, aber sie sei weder neu, noch stamme sie von mir" (aus
einem Brief an ihre Mutter, August 1923).
1928 heiratete sie ihren Jugendfreund Wladimir Andronikoff, was
einen neuen Aufruhr hervorrief und eine doppelte Sondergenehmigung
erforderte, damit sie nicht a) ihre Staatsangehörigkeit
durch ihre Ehe mit einem Staatenlosen und b) ihren Staatsposten
verlor, denn laut Vorschrift mußte eine Frau in dieser Stellung
ledig sein. In den letzten Jahren ihres Lebens fanden ihre Arbeiten
schließlich auch öffentliche Anerkennung: "Margarethe von
Wrangell erkannte besser und früher als so viele ihrer Kritiker,
daß es sich bei der Pflanzenernährung nicht um Gleichgewichtssysteme,
sondern um dynamische Vorgänge handle... Den sich schnell
ändernden Vorgängen im Boden konnte man nur durch Verbesserung
der sogenannten Analytischen Schnellmethoden beikommen, mit denen
sehr kleine Mengen erfaßt werden mußten. So entstand die Kette
von Analysenmethoden, die von hohem Werte ist."
Sekundärliteratur:
Wladimir Andronikow von Wrangell: Margarethe von Wrangell. Das
Leben einer Frau. München 1936.
SARAH RATNER (*1903)
"She pioneered research with nitrogen isotope leading to new
concepts, bodily protein and amino acid turn overs; established
mechanisms for steps in intermediary nitrogen metabolism body,
concerned with biosyntheses of arginine and urea, and worked out
energy relationships, discovered argininosuccinic acid."
(aus: World Who's Who in Science. Chicago 1968)
(1) Er entwarf übrigens unter dem Titel 'Christianopolis' 1619 das
Bild einer utopischen Gesellschaft, in der beide Geschlechter in
gleicher Weise ausgebildet und unterrichtet werden würden.
(2) siehe Gabriele Simon: Kosmetische Präparate vom 16. bis 19.
Jahrhundert - Braunschweig 1983.
(3) Einige befinden sich z. B. in der Heidelberger Universitätsbibliothek.
(4) So werden z. B. in dem handschriftlichen Kochbuch der Frau Rath
Sophie Schlosser aus dem Bekanntenkreis Goethes (hrg. nach der
Abschrift seiner Großmutter von Alexander von Bernus unter den
Titeln 'Urgroßmutters Kochbuch' und 'Urgroßmutters Hausmittel')
die "Rezepte, welche nicht in die Küche gehören" noch in einem
eigenen Anhang aufgeführt.
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