MATHEMATIK
"Mathematicians in general are a little known group; women mathematicians even less known."
(Teri Perl: Math equals, 1978)
In den mittelalterlichen Klöstern gehörte zum Bildungskanon des
Quadriviums auch die Mathematik, genauer: die Arithmetica und die
Geometria. Daß einige Klosterfrauen in dieser Kunst nicht ungeübt
waren, zeigt dieses Zahlenrätsel, das dem Drama "Sapientia" der
Stiftsfrau Hroswitha von Gandersheim (ca. 935 - nach 968) ist.
Als Beitrag zur Wiederaufnahme der Zahlentheorie im europäischen
Mittelalter ist es sehr interessant.
MARIA GAETANA AGNESI (1718 - 1799)
Wichtigste Werke:
Propositiones philosophicae. Milano 1738.
Instituzioni analitiche ad uso della gioventù italiana.
Milano 1748.
Ihr Vater war Mathematikprofessor an der Universität Bologna, und
er verschaffte ihr eine gute Ausbildung durch Privatlehrer.
Außerdem lud er bekannte Gelehrte seiner Zeit ein, mit denen
Maria disputieren und so ihren intellektuellen Horizont erweitern
konnte. Ihre Propositiones beruhen auf den bei solchen Treffen
verfochtenen Thesen, meist eher allgemein naturwissenschaftlicher
als mathematischer Art. Ihre Instituzioni hingegen, ein umfassendes
Lehrbuch der Algebra und Analysis, begründeten ihren Ruhm als
Mathematikerin. Noch 1801 wurden sie ins Englische übersetzt.
Obwohl als Lehrbuch konzipiert, sah sie sich doch im Vorwort
widerwillig dazu gezwungen einzugestehen, daß einiges des darin
enthaltenen Materials von ihr selbst ausgearbeitet war. Ihre Biographen
sind sich nicht einig, ob sie je an der Universität Bologna gelehrt hat -
ihre Zeitgenossin Laura Bassi (siehe dort) tat es -
sicher ist, daß sie spätestens ab 1762 keine Mathematik mehr
getrieben hat, sondern sich ganz sozialen Aktivitäten widmete.
SOPHIE GERMAIN (1776 - 1831)
Wichtigste Werke:
Tables générales de mutation. 1807.
Connaissance des temps. 1807.
Recherches sur la théorie des surfaces élastiques. Paris 1821.
(Mit dieser Schrift gewann sie den Prix Bordin)
Recherches sur la nature, les bornes et l'étendue de la question
des surfaces élastiques. Paris 1826.
Considérations générales sur l'état des sciences et des lettres
aux différentes époques de leur culture. Paris 1833. (postum)
sowie einige Artikel in den "Annales de chimie et de physique",
im "Journal für reine und angewandte Mathematik" und anderen.
Zu ihrer Zeit wurde sie "un des créateurs de la physique
mathématique" genannt. Sowohl bei ihrem "Fernstudium" an der 1795
gegründeten École Polytechnique (sie erledigte die von den Schülern
regelmäßig einzureichenden Aufgaben und Schriften eines
uninteressierten Studenten) als auch später bei ihrer Korrespondenz mit
C. F. Gauß benutzte sie das Pseudonym Antoine-Auguste Le Blanc.
In der reinen Mathematik arbeitete sie auf dem Gebiet der Zahlentheorie,
in der angewandten Mathematik an Elastizitäts- und
Schwingungsproblemen. 1816 gewann sie den von Napoleon zur
mathematischen Beschreibung der Ergebnisse der akustischen Versuche
Chladni's (Chladni Figuren) ausgesetzten außerordentlichen Preis
der französischen Akademie der Wissenschaften (Prix Bordin). Als
Wissenschaftsphilosophin wurde sie von Auguste Comte als Vorläuferin
des Positivismus bezeichnet.
Sekundärliteratur:
Über ihre Beiträge zur Wissenschaftsphilosophie berichtet:
Georg Biedenkapp: Sophie Germain, ein weiblicher Denker. Mit ei-
ner Übersetzung ihrer "Allgemeinen Betrachtungen über den Stand
der Wissenschaften und Literaturen in den verschiedenen
Kulturepochen". Jena 1910.
Auf ihre mathematischen Arbeiten konzentrieren sich:
Louis Bucciarelli und Nancy Dworsky: Sophie Germain. An essay in
the History of the Theory of Elasticity. Dordrecht-Boston-London
1980. Dieses Buch enthält auch viele biographische Hinweise.
ADA BYRON LOVELACE (1815 - 1852)
Wichtigste Werke:
Sie übersetzte Menabrea's Arbeit über die Rechenmaschinen von
Charles Babbage. Dabei erweiterte sie dieses Papier auf mehr als
das Dreifache, so daß Babbage der Meinung war, es solle eher als
Originalbeitrag erscheinen, sie wollte jedoch nicht gegen die
Verlagsabmachungen verstoßen.
Schon ihre Mutter, deren Ehe mit Ada's Vater, dem bekannten Dich-
ter, nur wenig länger als ein Jahr dauerte, war mathematisch
interessiert. Auf den Rat von Mary Somerville hin (siehe dort),
begann Ada Mathematik zu studieren. Diese vermittelte ihr auch
die Bekanntschaft mit Charles Babbage, der gerade seine erste
"Difference Engine" fertiggestellt hatte. Von nun an arbeitete
sie mit ihm zusammen, insbesondere bei dem Entwurf der lochkar-
tengesteuerten "Analytical Engine", für die sie erste Programme
entwickelte.
"Au lieu de parler d'intelligence, il vaut mieux parler d'intér-
et. Ce manque d'intérèt que les femmes semblent manifester peut
étre culturel ou naturel. Moi, j'opterai pour le naturel."
(R. Thom, Séminaire Philosophie et Mathématique, 1980)
Im Zusammenhang mit dem Ringen der Frauen um Zulassung zum regu-
lären Studium wurde die Ablehnung von Mathematikerinnen seitens
der Gegner des Frauenstudiums durchaus noch verschärft. So sagt
z. B. Möbius: "Man kann also sagen, daß ein mathematisches Weib
wider die Natur sei, in gewissem Sinne ein Zwitter. Es ist hier
nicht anders als bei anderen Talenten. Gelehrte und künstlerische
Frauen sind Ergebnisse der Entartung".(1)
SOFYA VASILEVNA KOVALEVSKAYA (1850 - 1891)
Wichtigste Werke:
Zur Theorie der partiellen Differentialgleichungen.
Dissertation, Göttingen 1874/75
Diese Arbeit erschien auch im Journal für reine und angewandte
Mathematik 80 (1875) l-32
Sur le problème de la rotation d'un corps solide autour d'un
point fixe. in: Acta Mathematica 12 (1889) 177-232
Diese Schrift gewann 1888 einen von der Pariser Akademie
ausgesetzten Preis für die Antwort auf eine bereits dreimal vergeblich
ausgeschriebene Frage.
Etliche Veröffentlichungen in: Acta Mathmatica, Comptes rendus de
l'Académie des Sciences, Astronomische Nachrichten und in den
Abhandlungen der schwedischen und der französischen Akademie.
Sofya Kovalevskaya (auch Sonja Kowalewski) war eine von zahlreichen
jungen Russinnen, die, angelockt von dem Gerücht, in
Deutschland würden Frauen zum regulären Studium zugelassen, mit-
tels einer Scheinehe von ihren Eltern die Erlaubnis zur Übersiedlung
nach Deutschland erzwangen. Zur immer wieder großen Enttäuschung
stellte sich dort dann heraus, daß diese Zulassung nur das
Medizinstudium an der Universität Zürich betraf.(2) Trotzdem
beharrten die russischen Studentinnen dann an verschiedenen
Universitäten auf ihrer Zulassung zumindest als Gasthörerinnen und
erreichten in einigen Fällen schließlich sogar die Erlaubnis, Prüfungen
abzulegen. So spielten sie eine wichtige Rolle als Vorreiterinnen
des Frauenstudiums in Deutschland, das sich, anders als
im angloamerikanischen Sprachraum, nie an eigens gegründeten
Frauenuniversitäten abspielte.
Sofya Kovalevskaya studiert in Heidelberg und bei Weierstrass in
Berlin, promovierte aber in Göttingen, da die Berliner Universität
sich kategorisch weigerte, die Arbeit einer Frau anzunehmen.
1884 wurde sie Professorin für Analysis an der neugegründeten
Stockholmer Universität und ab 1889 war sie Korrespondierendes
Mitglied der russischen Akademie.
Sekundärliteratur:
In letzter Zeit sind neben der Neuauflage ihrer autobiographischen
Kindheitserinnerungen auch mehrere Biographien von wechselnder
Qualität und Wahrheitstreue erschienen. Einen Vergleich
dieser Biographien, verbunden mit einem Abriß ihrer Lebensgeschichte,
gibt der Artikel:
Anna Maria Stuby: Sofja Kovalevskaja - "Prinzessin der
Naturwissenschaften". Ein Beitrag zur Entheroisierung.
in: Feministische Studien 4 (1985) Nr.1, 87 - 106.
AMALIE EMMY NOETHER (1882 - 1935)
Wichtigste Werke:
Ihr umfangreiches Schriftenverzeichnis ist abgedruckt in:
Mathematische Annalen 111 (1935) 475 f.
Statt dessen sei hier der ihr auf der Weltausstellung 1964 in New
York gewidmete Text wiedergegeben:
"Emmy Noether, Tochter des Mathematikers Max, wurde oft 'der
Noether' genannt. Ihre Göttinger Professur versah sie ohne Gehalt,
und Hilbert muhte kämpfen, um sie - als Frau - überhaupt an die
Universität zu bringen. Sie war dick, raut und laut, aber so gütig,
tumorvoll und umgänglich, dar alle, die sie kannten, sie
gerne mochten. Als die Nazis an die Macht kamen, ging sie in die
Vereinigten Staaten.
Emmys erste Arbeiten über Invarianten ließen in keiner Weise
vermuten, daß sie einmal zu den Schöpfern der abstrakten
axiomatischen Algebra gehören würde. Sie entwickelte die axiomatische
Idealtheorie, indem sie die Teilerkettenbedingung einführte,
brachte eine einheitliche Theorie der nichtkommutativen Algebren
und ihrer Darstellungen, definierte den Begriff 'verschränktes
Produkt' und bewies mit Brauer und Hasse, daß jede einfache
Algebra über einem algebraischen Zahlkörper zyklisch ist."
Sekundärliteratur:
Auguste Dick: Emmy Noether. 1882-1935. Basel 1970.
RUTH MOUFANG (1905 - 1977)
Nach ihrer Promotion 1931 in Frankfurt mit der Arbeit 'Zur Struktur
der projektiven Geometrie der Ebene' erhielt sie ein Stipendium
nach Rom, dann nahm sie einen Lehrauftrag in Königsberg an.
Sie war eine Schülerin von Max Dehn, der sie großzügig förderte,
bis er 1933 Deutschland verlassen mußte. 1934-1936 war sie
Lehrbeauftragte am Mathematischen Seminar in Frankfurt. Zwar
habilitierte sie sich 1936 in Frankfurt mit der Arbeit 'Einige
Untersuchungen über geordnete Schiefkörper', doch wurde ihr im Dritten
Reich die Dozentur verweigert. Daraufhin arbeitete sie als
Industriemathematikerin bei Krupp in Essen, hauptsächlich auf dem
Gebiet der Matrizen. Als die Universität Frankfurt 1946 dringend
unbelastete Mathematiker suchte, erhielt sie schließlich auch als
Frau eine Chance: sie wurde Dozentin und schließlich ordentliche
Professorin. Ihr spezielles Forschungsgebiet waren die Grundlagen
der Geometrie. Nach ihr sind die "Moufang-Ebenen" benannt. Der
Hamburger Mathematikprofessor Walter Benz erinnert sich an sie
als eine gütige und unprätenziöse Frau, die, an der
Ordinarienuniversität keine Selbstverständlichkeit, auch gegenüber
jungen Dozenten immer kollegial und hilfsbereit war.
Sekundärliteratur:
Bhama Srinivasan: Ruth Moufang. 1905 - 1977. In: The Mathematical
Intelligencer 6 (1984) 51-55. Das dort angegebene
Schriftenverzeichnis ist leider unvollständig.
(1) August Ferdinand Möbius: Über die Wirkungen und Bedingungen der
Anlage zur Mathematik. In: Gesammelte Werke (hrsg. von W.
Scheibner) 4. Band, Leipzig 1887. S. 92. Derselbe verfaßte auch
die berühmt-berüchtigte Schrift 'Über den physiologischen
Schwachsinn des Weibes'.
(2) Viele Russinnen studierten tatsächlich auch in der Schweiz.
Einen frühen Bericht über das Frauenstudium in Zürich gibt: Käthe
Schirmacher: Zürcher Studentinnen. 1896.
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