Vorträge im Rahmen des Seminars
Montags 18.00 - 19.30 Uhr,
Prof. Dr. Andre Koch Torres Assis (State University of
Campinas, Brazil, Humboldt-Stipendiat im IGN, August 2001 bis Juli 2002)
Dr. Ulrike Leitner (Alexander von Humboldt-Forschungsstelle,
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften)
Dr. Kai Torsten Kanz (Universität Lübeck, Institut
für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte)
PD Dr. Harmut Hecht (Berlin, Leibniz-Edition)
Dr. Peter Heering; Prof. Dr. Falk Rieß
(Universität Oldenburg)
Dr. Stefan Siemer (München, Deutsches Museum)
Walter Lenz (Universität Hamburg,
Zentrum für Meeres- und Klimaforschung)
Prof. Dr. Michael van Renteln (Universität Karlsruhe,
Fakultät für Mathematik)
Dr. Elisabeth Vaupel (München, Deutsches Museum)
Dr. Karsten Gaulke (Stuttgart)
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Programmübersicht Kolloquium
Sommersemester 2002
Neuere Forschungen zur Geschichte der
Naturwissenschaften, Mathematik und Technik
Geomatikum (Bundesstr. 55),
Hörsaal 6 (Erdgeschoß)
Gesamt-Programm zum Ausdrucken
Inhaltsangabe der Vorträge
Machs Prinzip und der Ursprung der Trägheit.
Über das wiedergefundene ,,Journal du Mexique à Veracruz'' A. v. Humboldts aus dem Blickwinkel einiger naturhistorischer Disziplinen.
Von der Auferstehung zum Reformstau: Die Leopoldina unter ihrem Präsidenten Nees von Esenbeck 1818 bis 1858.
Empirie bei Leibniz.
The replication method as an access to historical scientific practice: Fizeau's measurement of the speed of light.
Die Sammlung in Bewegung: Naturgeschichtliches Sammeln in London und Danzig im frühen 18. Jahrhundert.
Hamburgs Beitrag zur Entwicklung der Meeresforschung in Deutschland.
Vortrag im Mathematischen Kolloquium in Zusammenarbeit mit dem Mathematischen Seminar
Leonhard Euler und die Geschichte der Mathematik.
Die Deutsche Chemische Gesellschaft und ihre Aktivitäten im
deutsch-französischen Krieg 1870/71.
,,... ein Gestirn, von der Art eines weit entfernten Brandes ...'': Johannes Kepler und der ,,Neue Stern'' von 1604.
Gudrun Wolfschmidt,
Karin Reich
Tagungen, Ausstellungen, u.s.w.
Inhaltsangabe der Vorträge
Machs Prinzip und der Ursprung der Trägheit.
Newtons Begriffe über den absoluten Raum und die absolute
Zeit werden in dem Vortrag behandelt und ebenso sein
Gravitationsgesetz dargelegt. Insbesondere wird auf sein
Eimer-Experiment eingegangen: Ein Eimer, der teilweise mit Wasser
gefüllt ist, hängt an einem Seil. Wenn der Eimer und das
Wasser im Ruhezustand sind, ist die Oberfläche des Wassers eine
horizontale Ebene. Wenn der Eimer und das Wasser sich zusammen drehen,
ist die Oberfläche des Wassers parabolisch (das Wasser steigt an
den Wänden des Eimers hoch). Der Ursprung dieses Verhaltens wird
diskutiert (in bezug auf was entsteht aus der Umdrehung des Wassers
die parabolische Gestalt der Wasseroberfläche?). Auf die Kritik
von Leibniz und Mach an Newtons Mechanik wird eingegangen. Laut Machs
Prinzip entsteht die Trägheit der Wasserteilchen aus ihren
Gravitationswechselwirkungen mit entfernten
Himmelskörpern. Einsteins Theorien implementieren nicht diese
Idee. Die Relational Mechanik, die Machs Idee aufnimmt, wird dann
präsentiert. Sie benutzt auch das Webersche Gesetz für
Gravitation und enthält die Konzepte von Leibniz und Mach
über den Ursprung der Trägheit.
Literaturangabe: A. K. T. Assis, Weber's Electrodynamics (Kluwer Academic
Publishers, 1994); A. K. T. Assis, Relational Mechanics (Apeiron, Montreal,
1999).
Über das wiedergefundene ,,Journal du Mexique à Veracruz'' A. v. Humboldts aus dem Blickwinkel einiger naturhistorischer Disziplinen.
>>Anciennes folies neptuniennes!<< - diese Worte schrieb Alexander
von Humboldt (1769-1859) 1853 an den Rand einer Tagebuchseite seiner
Amerikareise (1799 bis 1804). Damit kommentiert er seinen Wandel in
einzelnen wissenschaftlichen Überzeugungen - hier in der
Neptunismus-Vulkanismus Debatte, die um 1800 mit einiger Heftigkeit
geführt wurde.
Die sog. amerikanischen Tagebücher sind in der Staatsbibliothek zu
Berlin - Preußischer Kulturbesitz deponiert und in Auszügen in
mehreren Bänden von der A.-v.-Humboldt-Forschungsstelle der BBAW
publiziert (siehe
http://www.bbaw.de/vh/humboldt/pub.html#Schriftenreihe_Beitraege).
Der die Reise von Mexico nach Veracruz betreffende Abschnitt fehlt jedoch
in den Tagebüchern, die Humboldt selbst gegen Ende seines Lebens
binden ließ. Vor einiger Zeit entdeckte ich dieses Stück in dem
Nachlaß Humboldts in Krakau, der seit kriegsbedingten Auslagerungen
bis vor kurzem als verschollen galt.
Dieses Tagbuchteil möchte ich in meinem Vortrag vorstellen und daran
beispielgebend für Humboldts umfangreiches Lebenswerk zeigen, wie
Humboldt bestimmte Entwicklungen einzelner Disziplinen (Botanik,
Pflanzengeographie, Geologie, Klimatologie u.a.) mit seinen
naturwissenschaftlichen Ergebnissen und Schlußfolgerungen
beeinflußte.
Von der Auferstehung zum Reformstau: Die Leopoldina unter ihrem Präsidenten Nees von Esenbeck 1818 bis 1858.
Nach einem jahrzehntelangen ,Todesschlaf' wurde die vor 1652
gegründete Kaiserliche Leopoldinisch-Carolinische Deutsche
Akademie der Naturforscher durch ihren im Jahr 1818 neugewählten
XI. Präsidenten, den Botaniker Christian Gottfried Nees von
Esenbeck (1776-1858), neu belebt. Namhafte Ärzte und Naturforscher aus
dem In- und Ausland wurden zu Mitgliedern gewählt und durch die
finanzielle Unterstützung Preussens erhielt die Leopoldina die
Möglichkeit, ihre Akademiezeitschrift wieder regelmässig in
opulenter Ausstattung drucken zu lassen. Die innere Struktur der
Akademie blieb jedoch weiterhin auf den Präsidenten fixiert, der
aufgrund seines privaten und politischen Lebens als Professor an der
Universität Breslau 1851 suspendiert und 1852 ohne Pension
entlassen wurde, was für die Leopoldina nicht ohne Folgen
blieb. Abgesehen von seiner immensen Lebensleistung für die
Akademie hinterliess Nees von Esenbeck bei seinem Tode 1858 der
Leopoldina einen Schuldenberg und vielfache strukturelle Probleme, die
erst von seinen Nachfolgern im Amt gelöst werden konnten.
Empirie bei Leibniz.
Gottfried Wilhelm Leibniz gilt neben René Descartes und Baruch de
Spinoza als Repräsentant der großen rationalistischen Systeme des
17. Jahrhunderts. Diese philosophiehistorische Einordnung ist für die
Wahrnehmung seiner naturwissenschaftlichen Arbeiten nicht folgenlos
geblieben, so dass bis heute Logik und Mathematik im Vordergrund
stehen, wenn von Leibniz' Physik die Rede ist. Mit dem Beginn der
Edition der naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen
Schriften im Rahmen der Akademie-Ausgabe (Reihe VIII) wird die
tradierte Auffassung jedoch zunehmend problematischer. Leibniz hat,
wie sich zeigt, nicht nur die experimentellen Ergebnisse seiner Zeit
genauestens registriert, er hat selbst sehr viele Experimente
entworfen und deren Funktion als Entscheidungsinstanz im Falle
konkurrierender Hypothesen diskutiert.
Der Vortrag wird einige Ergebnisse der bisherigen Arbeit an Reihe VIII der
Akademie-Ausgabe präsentieren und die systematische Bedeutung von
Experimenten für den Leibnizschen Erfahrungsbegriff diskutieren.
The replication method as an access to historical scientific practice: Fizeau's measurement of the speed of light.
The characteristic of our approach in the historiography of
science is the replication method. This approach includes the
reconstruction of historical devices, the redoing of the experiment
and the historical contextualisation of the experiences made. Our
presentation is designed to serve as a brief introduction into this
method. In particular we will focus on the aspects of how to
reconstruct a device, how to redo the experiment, and what to learn
from the outcome. To be more specific we will not only discuss these
topics on a general level but also exemplify the method by discussing
one of the classical experiments from the history of physics: Fizeau's
toothed wheel experiment that had been the first terrestrial
determination of the speed of light. In discussing the devices
technical requirements can be demonstrated as well as experimental
skills, both being necessary for the success of the experiment.
Die Sammlung in Bewegung: Naturgeschichtliches Sammeln in London und Danzig im frühen 18. Jahrhundert.
Um 1700 vollzieht sich auf dem Gebiet der Naturgeschichte ein
grundsätzlicher Wandel: die Wunder- und Raritätenkammern des
16. und 17. Jahrhunderts verwandeln sich in spezialisierte
Forschungseinrichtungen, in deren Mittelpunkt die Ordnung und
Systematik der natürlichen Welt steht.
Die neue ,,Ordnung der Dinge'' (Foucault) beruht jedoch nicht allein
auf einem epistemischen Wandel, sondern verdankt sich zudem
Veränderungen in der Art und Weise, in der die Gelehrten zu
Beginn des 18. Jahrhunderts untereinander und im weiteren Sinne mit
einer wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit
kommunizieren.
Naturforscher organisieren sich in Netzwerken, als deren Knotenpunkte
sich die naturgeschichtlichen Sammlungen begreifen
lassen. Zeitschriften und vor allem die bislang nur wenig beachteten
Briefwechsel sind ein unverzichtbares Medium der
Verständigung. Aus der Nahperspektive einer Alltagskommunikation
im Umfeld naturgeschichtlicher Forschung erweist sich das Sammeln und
die Ordnung der Sammlung als ein höchst dynamischer Prozess.
Die Einbindung von Sammlungsobjekten in den Kontext wissenschaftlicher
Verständigung hat Konsequenzen für die Stellung von
Sammlungsobjekten überhaupt. Sie sind nicht mehr Teil eines
naturhistorischen Schauraums in der Tradition der Wunderkammer,
sondern Bestandteil eines spezialisierten und vernetzten
Forschungsraums.
Dies soll am Beispiel des Danziger Sammlers Johann Philipp Breyne
(1682-1763) und seiner Kontakte zum Londoner Sammler und
Präsidenten der Royal Society Sir Hans Sloane (1660-1753)
aufgezeigt werden. Die Debatte um die richtige erdgeschichtliche
Einordnung von sibirischen Mammutfunden und die daran anknüpfende
Frage, ob es sich um rezente oder fossile Arten handeln könnte,
bildet hierbei den Ausgangspunkt. Darüber hinaus ist zu fragen
nach dem Verhältnis von wissenschaftlichem Zentrum und Peripherie
und dem Aufbau von Netzwerken, mittels derer Wissen und Objekte in
Bewegung gesetzt werden.
Hamburgs Beitrag zur Entwicklung der Meeresforschung in Deutschland.
Hamburg als Hafenstadt - geprägt insbesondere vom
Überseehandel - hat sich seit Beginn der institutionalisierten
Meeresforschung, die in Deutschland mit der Reichsgründung
einsetzte, diesen Aufgaben gestellt. Das Engagement war allerdings
immer von konservativ kaufmännischen Überlegungen geleitet,
wie es die Gründungsgeschichte der Universität besonders
deutlich zeigt. Als Meilensteine sind zu nennen: die Gründung der
Deutschen Seewarte 1875; die Schaffung des ersten Lehrstuhls für
Meereskunde 1937 und für Fischereiwissenschaft 1947; die
Ansiedlung der Bundesforschungsanstalt für Fischerei und der
Zentrale der Biologischen Anstalt Helgoland 1962; die Gründung
des Max-Planck-Instituts für Meteorologie 1975 und des Deutschen
Klimarechenzentrums 1987 in und neben dem Geomatikum; die
Zusammenfassung der marin orientierten Institute der Universität
zum Zentrum für Meeres- und Klimaforschung 1989. Derzeit entsteht
ein Neubau neben dem Geomatikum und in unmittelbarer Nähe wird in
den nächsten Jahren ein Gebäude der chemischen Institute
für Meeresforschungszwecke umgebaut. Das ganze firmiert dann
unter dem Namen Zentrum für Marine und Atmosphärische
Wissenschaften (ZMAW).
Leonhard Euler und die Geschichte der Mathematik.
Leonhard Euler (1707-1783), der an den Akademien in Berlin und
St. Petersburg wirkte, ist der größte und vielseitigste
Mathematiker des 18. Jahrhunderts. In seinem riesigen Werk finden sich
Verbindungen zu fast allen mathematischen Disziplinen. Seine Schriften
beeinflußten im hohen Maße Forschung und Lehre bis in
unsere heutige Zeit.
Anhand des wechselvollen Lebens von Leonhard Euler sollen Aspekte der
Mathematik- und Wissenschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts
aufgezeigt und Kostproben seines mathematischen Schaffens gegeben
werden. Insbesondere wird auf ein berühmtes mathematisches
Problem eingegangen, welches die größten Mathematiker vor
Euler (darunter Leibniz, Jakob und Johann Bernoulli) nicht zu
lösen vermochten.
Die Deutsche Chemische Gesellschaft und ihre Aktivitäten im
deutsch-französischen Krieg 1870/71.
Das erste große Projekt der 1868 gegründeten Deutschen
Chemischen Gesellschaft, das allgemein-politische Bedeutung hatte,
befaßte sich mit der Desinfektion der Schlachtfelder im
deutsch-französischen Krieg 1870/71. Die Gesellschaft
bemühte sich auf Betreiben August Wilhelm Hofmanns, ihres
Begründers, eifrig darum, deutsche und englische Frabrikanten
dazu zu gewinnen, schnellstmöglich und gratis Desinfektionsmittel
- Chlorkalk, und, was besonders bemerkenswert ist, die erst kurz zuvor
von Joseph Lister propagierte Carbolsäure (Phenol)- in
großen Quantitäten zur Verfügung zu stellen. Mit
dieser Initiative wurde bezweckt, die Leistungsfähigkeit von
chemischen Produkten im humanitären Bereich, d.h. bei der Pflege
von Kranken und Verwundeten, zu demonstrieren. Die in der Gesellschaft
organisierten Chemiker arbeiteten Desinfektionsvorschriften aus und
organisierten Komitees, um die richtige Ausführung dieser
Vorschriften zu überwachen. Dank dieser Maßnahmen konnte
das Ausbrechen kriegsüblicher Seuchen (Cholera, Thyphus etc.)
verhindert werden. Besonderes betont wird die innovative
Einführung der Carbolsäure (Phenol) in der deutscher
Militärmedizin.
Auch auf französischer Seite stellten Chemiker, die in der
Société Chimique de Paris organisiert waren, ihre
Kenntnisse in den Dienst des Vaterlandes. Anders als auf deutscher
Seite ging es hier aber vor allem darum, so schnell wie möglich
chemische Surrogatnahrungsmittel für die im belagerten Paris
eingeschlossene, hungernde Bevölkerung zu entwickeln und bessere
Sprengstoffe zu entwickeln, mit deren Hilfe man sich gegen die
militärisch übermächtigen Deutschen hoffte, wehren zu
können. Diese Projekte waren allerdings von wenig Erfolg
gekrönt.
Somit untersucht der Vortrag die Rolle der Chemie im Spannungsfeld des
deutsch-französisischen Antagonismus in der Zeit von 1870-1874.
,,... ein Gestirn, von der Art eines weit entfernten Brandes ...'': Johannes Kepler und der ''Neue Stern'' von 1604.
Johannes Kepler wird in der Astronomiegeschichte im wesentlichen als
Vater einer ,,Neuen Astronomie oder Physik des Himmels''
gesehen. Weniger wahrgenommen wird, dass sich Kepler auch intensiv mit
kosmologischen Fragen auseinandergesetzt hat. Beispielsweise finden
sich in ,,Astronomiae Pars Optica'' (1604) und besonders ,,De Stella
Nova'' (1606) Textstellen zur Morphologie der Fixsterne und - aus
damals aktuellen Anlaß - der ,,Neuen Sterne''. Der Vortrag soll
aufzeigen, welcher Methodik sich Kepler bei der Klassifizierung dieser
Gestirne bediente und die Frage beantworten, inwieweit Kepler dieser
Methodik während seines Forscherdaseins treu blieb.
wolfschmidt@math.uni-hamburg.de
Letzte Änderung: 18. Juli 2002