Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

NACHRICHTEN
aus dem Institut für Geschichte der
Naturwissenschaften, Mathematik und Technik
HAMBURG

Nummer 29, April 1999

Graduierten-Kolleg Textüberlieferung

* Griechische und Byzantinische Textüberlieferung *
* Wissenschaftsgeschichte *
* Humanismusforschung und Neulatein *


Der 3. Zyklus des Graduiertenkollegs befindet sich jetzt im zweiten Jahr. Aus den verschiedenen Veranstaltungen sind insbesondere die folgenden, wissenschaftshistorische Themen betreffenden oder einschließenden, zu erwähnen:

Im Juni 1998 fand in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel ein von C.J. Scriba und Dr. Carsten Drecoll (Freiburg) geleitetes Blockseminar zum Thema ,,Text- und Bildüberlieferung in den Weltkarten des Mittelalters" statt (vgl. den Bericht über das Blockseminar).

Zum zweitenmal wurde (vom 19. Oktober bis 13. November 1998) ein Nachwuchsforum durchgeführt. Dessen Ziel war wiederum, junge in- und ausländische Nachwuchskräfte, die an ihrer Promotion im Rahmen der Schwerpunkte und verwandter Disziplinen des Kollegs arbeiten, zu fördern. Die Veranstaltung begann mit einem dreitägigen Plenarkolloquium im Warburg-Haus, wobei Teilnehmer und Kollegiaten ihre Projekte vorstellten. Ebenfalls im Rahmen dieses Nachwuchsforums wiederholte Herr Professor A. Stückelberger aus Bern das Kompaktseminar ,,Bild und Wort. Die wissenschaftliche Illustration in der antiken Fachliteratur``, das bereits im vorhergehenden Zyklus auf großen Anklang gestoßen war. Eine Woche später fand in der Staats- und Universitätsbibliothek ein Papyrologischer Workshop statt. Dabei führten Frau Dr. Chiara Faraggiana di Sarzana aus Bologna und Herr Daniele Broia aus Parma in die Technik des Lesbarmachens von Palimpsesten mittels digitaler Fototechnik ein. Das Nachwuchsforum wurde diesmal beschlossen mit einem Ausflug nach Berlin. Der Besuch des Ägyptischen Museums schloß auch eine Führung durch die Papyrussammlung durch Herrn Dr. Brashear (einen der Träger unseres Graduiertenkollegs) ein.

Im Dezember sprach in einem gemeinsam vom IGN und dem Kolleg veranstalteten Vortrag Frau Dr. M.M. Roshanskaya aus Moskau über Infinitesimalmethoden in der arabischen Mechanik.

C.J. Scriba



Bericht über das Blockseminar

Text- und Bildüberlieferung in den Weltkarten des Mittelalters

in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel,
durchgeführt vom 15. bis 19. Juni 1998 von

Dr. Carsten Drecoll (Freiburg) und
Prof. Dr. Christoph J. Scriba (Hamburg).

Das Seminar, Bestandteil eines Nachwuchsforums des Hamburger Graduiertenkollegs ,,Textüberlieferung", war dem Verhältnis von Bild- und Texttradition mittelalterlicher Karten gewidmet. Die Kartentypen und einzelne Motive auf den Karten wurden auf ihre Herkunft und Aussagefähigkeit hin befragt. Bild und Text sollten in ihrem Wechselverhältnis untersucht werden und helfen, die Intentionen der Kartenzeichner und die unterschiedlichen Kartentypen zu verstehen.

An die Katalogeinweisung am 15. Juni schloß sich die erste, einführende Sitzung im Bibelsaal an. Anhand einer Übersicht über die in den folgenden Tagen zu behandelnden Weltkarten (eine Bibliographie war schon vorab verteilt worden) wurde ein Überblick gegeben über die Entstehungszeiten und -orte (die erste Weltkarte begleitete den Text von Martianus Capella, um 300 nach Christus, die letzte entstand im 15. Jh.), über die Motive und Gestaltungsarten, über die Orientierung der Karten (sie waren zunächst aufgrund christlicher Vorstellungen fast immer geostet, bis sich mit den Portulankarten die sich aus der Seefahrtspraxis ergebende Nordung durchsetzte), über das Vorherrschen des O-T-(orbis terrarum)-Schemas und andere Charakteristika.

Am Dienstagvormittag fanden Führungen durch die Herzog August Bibliothek und das Lessinghaus statt. Die weiteren Sitzungen waren dem Studium einzelner Karten gewidmet, ergänzt durch vorbereitete Kurzbeiträge. Monika Schreiber stellte die Mirabilia und Fabelvölker vor, die auf vielen Karten insbesondere den vierten Kontinent bevölkern. Über andere märchenhafte Völker und Könige berichteten in den folgenden Tagen Lutz Koch: ,,Gog und Magog - die Endzeitvölker`` und Maria Sanz Julian: ,,Der Priesterkönig Johannes.`` Bei Gog und Magog verbinden sich biblische Elemente mit der Alexander-Überlieferung. Die erstmals bei Otto von Freising zu findende Vorstellung eines im östlichen Afrika vermuteten, von Johannes regierten christlichen Reiches veranlaßte Reisende bis zum 17. Jahrhundert, danach zu suchen. Miriam Menzel machte uns mit dem Werk Ottos näher bekannt. Die Problematik der Mondberge und der Nilquellen wurde von Franco Giorgianni erörtert.

Bei der Behandlung des Themas ,,Das Paradies und das Himmlische Jerusalem`` warnte Stavroula Constantinou davor, in den mittelalterlichen Karten absolute topographische Genauigkeit zu suchen. Am Beispiel von Jerusalem, das wegen seiner großen religiösen Bedeutung auf Karten häufig als Mittelpunkt der Ökumene - des damals bekannten Erdkreises - hervorgehoben wurde, wies sie auf die symbolische Bedeutung viele Zeichen hin. Dieser Aspekt wurde auch unterstrichen im Beitrag von Sabrina Ebbersmeyer über De arche Noah mystica und andere Werke des Hugo von St. Viktor; er findet sich gleichfalls in der Imago mundi, dem bekanntesten Werk von Honorius Augustodonensis, worin dieser die Welt als Ei beschreibt. Dessen Einfluß untersuchte Silvia Manzo in einem Referat über ,,Die biblische Topographie bei Honorius Augustodonensis und die Weltkarten des Heinrich von Mainz``. Weitere von mittelalterlichen Kartenzeichnern herangezogene Textquellen stellten Dimitri Abramov mit Isidor von Sevilla und Daniel Liscia mit Wilhelm von Conches vor.

Drei Teilnehmer berichteten in längeren Beiträgen über eigene Forschungen. Dr. Evgeny Zaitsev konnte in seinem Vortrag ,,Bilderstreit, Kartographie und Mathematik im frühen Mittelalter`` zeigen, wie mittelalterliche Karten eine religiöse Dimension erhalten, dennoch aber ihren kartographischen Aspekt nicht verlieren. Als Resultat der Verweigerung der Bildverehrung wurde die mappa mundi zu einem mentalen Itinerarium, das sich an sakralen Symbolen orientierte (Ausrichtung der Karten nach Osten, Abbildung des Paradieses, Darstellung von Jerusalem als Nabel der Welt usw.). Sogar die Schriften der Agrimensoren bekommen in diesem Zusammenhang eine symbolische Bedeutung; genauso wie die Geometrie werden sie in die Geographie integriert. Gott wird zugleich als Geometer und Geograph gedacht.

Grant Parker beschrieb in einem Referat über ,,Indien in der Kartographie. Wege von der Antike ins Mittelalter`` die Kenntnisse über Indien zu zwei bestimmten Zeitpunkten. Für das 1. Jh. nach Christus muß man, da für diese Zeit fast keine Karten erhalten sind, auf Quellen wie Plinius, Strabon und den anonymen Periplus für das Rote Meer zurückgreifen. Für das 13. Jh. wählte er die reich ausgestaltete Hereford mappa mundi und analysierte, inwiefern sie als Beispiel für die Plinius-Rezeption angesehen werden kann.

Carsten Drecoll berichtete über ,,Die arabischen Karten des Mittelalters``, von den ersten aus dem 8. Jh., über die historische Nachrichten vorliegen (es handelt sich um militärische Karten), bis zu den arabischen Portulankarten, die im 14. Jh. zu finden sind. Im 8. Jh., unter al-Mansur, wurde nicht nur die griechische Tradition entdeckt, sondern auch das Hindu- und Perserwissen über Geographie herangezogen und in arabische Kenntnisse eingearbeitet. Die wichtigste Übernahme jedoch bestand in der Übersetzung der Geographike hyphegesis des Ptolemaios im 9. Jh. Den Aspekt der religiösen Weltsicht weisen die arabischen Karten nicht auf, zeigen auch bis auf wenige Ausnahmen keine Erzählmotive wie die europäischen Karten Sie wurden als Orientierungshilfen für militärische und logistische Zwecke erstellt. Über Idrisi entsteht dann ein neuer Kartentyp in Europa In diesem Zusammenhang hatte bereits die ältere Forschung auf die Karte des Marino Sanudo vom Anfang des 14. Jhs. hingewiesen.

Eine wesentliche Veränderung der europäischen Kartographie bewirkten die Ptolemäus-Karten. Aus dem 13. Jh. liegen bereits zwei griechische, mit Karten versehene Handschriften vor. Diese Karten werden im 15. Jh. in Europa bestimmend. Mit Ptolemäus beginnen auch neue Techniken der Kartenzeichnung. Prof. Scriba erläuterte, wie diese mit den verschiedenen geometrischen Projektionen zusammenhängen und welche Auswirkungen sie auf die Gestalt der Karten haben.

Zum Schluß wurden einige Portulankarten besprochen. Ihre Genauigkeit des Mittelmeerraumes (bis auf 1 Grad) stellt die Frage nach ihrer Konstruktionsweise, die in der Forschung immer noch nicht endgültig geklärt ist. Während die ersten Portulane aus dem 13. Jh. nur die Küstenstädte verzeichnen, werden später Portulane in Weltkarten eingearbeitet, wie z.B. beim Katalanischen Weltatlas aus Paris. Hier verbinden sich wieder Motive und Traditionen aus dem Mittelalter mit dem neuen Kartentyp. In der letzten Sitzung des Seminars wurde die Portulankarte von Jorge oder Pedro Reissel (Cod. Guelf. 98 Aug 2o; ca. 1510) untersucht, deren Original im Globensaal der HAB ausgestellt ist. - Daß uns Herr Professor Milde auch die Wolfenbütteler Handschrift des Liber Floridus (Cod. Guelf. 1 Gud. lat.; 2. H. des 12. Jhs.) mit ihren eindrucksvollen Illuminationen zeigte und ausführlich erläuterte, stellte einen besonderen Höhepunkt im Programm dieses Seminars dar. Die Weltkarte in dieser Handschrift ist eine erweiterte O-T-Karte mit einem südlichen, vierten Kontinent (terra australis).

Die Abschlußdiskussion ging noch einmal auf den Charakter und die Verwendung der mittelalterlichen Karten ein, die eine vielfältige Entwicklung aufweisen. In den O-T-Karten, den Ptolemäuskarten und den Portulanen konnten drei unterschiedliche Darstellungsabsichten erkannt werden.

Am Ende dieses Berichts möchte sich das Graduiertenkolleg zusammen mit den Organisatoren des Seminars bei der Herzog August Bibliothek, die ihre Räume, Karten und Bücher zur Verfügung gestellt hat, für die nette Aufnahme und für die Hilfsbereitschaft der Angestellten herzlich bedanken.



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Die letzte Änderung stammt vom 26. Juli 1999.

wolfschmidt@math.uni-hamburg.de


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