Nummer 28, April 1998
Ergebnisse u.a. der von Barbara Orland und Elvira Scheich herausgegebene
Sammelband ,,Das Geschlecht der Natur. Feministische Beiträge zur
Geschichte und Theorie der Naturwissenschaften`` (Suhrkamp-Verlag,
Frankfurt a. M. 1995) einen interessanten Querschnitt zeigt.
Aus den genannten Veröffentlichungen ergibt sich ein Spektrum von Frauen-
und Geschlechterforschung, das sich in dem im WS 1997/8 gehaltenen Seminar
wiederfindet. Zu diesem Zweck wählten wir Themen und Texte aus, die sowohl von etablierten Wissenschafts- und TechnikhistorikerInnen wie auch von
PromovendInnen verfaßt sind. Das Seminar besaß zwei
Teile.
Bei der historischen Betrachtung der Naturwissenschaften zeigen sich die
Wirkungen gesellschaftlicher Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen.
Verschiedene Arbeitsbereiche wurden eher Frauen oder Männern zugeordnet.
Die Erforschung naturwissenschaftlicher Disziplinen aus frauen- bzw.
geschlechterhistorischer Perspektive macht bislang übersehene
Wissenschaftlerinnen und ihre Arbeitsbereiche sichtbar. Einige dieser
Arbeitsbereiche unterschieden sich stark von den Tätigkeitsfeldern
männlicher Wissenschaftler, so daß die frauenhistorische Perspektive neue Erkenntnisse über die Entwicklung der naturwissenschaftlichen (Teil)Disziplinen ermöglicht. Aus den genannten Zusammenhängen ergibt sich weiterhin, daß Frauen in der Wissenschaft z.T. andere Erfahrungen machten als ihre männlichen Kollegen und die Wissenschaftsentwicklung den
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oft unterschiedliche
Perspektiven eröffnete.
Um diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen und um unterschiedlichen
Geschlechterverhältnissen in den verschiedenen Lebensbereichen von
einzelnen Naturwissenschaftlerinnen gerecht zu werden, sind
WissenschaftshistorikerInnen in der Biographienforschung neue Wege
gegangen. Sie entwickelten Forschungsansätze, die Wechselwirkungen zwischen den Arbeitsbedingungen, der Fachentwicklung, der Einflußnahme verschiedener Interessengruppen und einzelnen Wissenschaftlerinnen transparent machen.
Auf diese Weise zeigen die Biographien nicht nur die besonderen Lebens- und
Arbeitsbedingungen von Frauen in der Wissenschaft und die jeweiligen
Strategien der Naturwissenschaftlerinnen, sondern verweisen darüber hinaus auf Entstehungsbedingungen von wissenschaftlichen Theorien und Praktiken.
Die feministische Wissenschaftskritik hat das Ziel, wissenschaftliche
Inhalte auf ihren geschlechterhierarchisch geprägten Entstehungs- und
Entwicklungszusammenhang zu untersuchen. Mathematik, Physik, Chemie und
Biologie scheinen auf den ersten Blick unabhängig zu sein von der
Geschlechterordnung der Gesellschaft, in der sie entstanden. Deshalb
entwickelten feministische WissenschaftsforscherInnen ein umfangreiches
Handwerkszeug, um dem Zusammenhang von wissenschaftlichem Wissen und
Geschlechterverhältnis nachzuspüren. Das Interesse richtet sich dabei sowohl auf die Inhalte der jeweiligen Naturwissenschaft wie auch auf die
AkteurInnen und die konstituierenden Momente bei der Ausübung ihres Faches. Postmoderne Geschlechterforschung ermöglicht dabei einen anderen
Blickwinkel und neue Fragestellungen, wodurch sich eine erweiterte
Erkenntnisvielfalt ergibt.
Die Interdisziplinarität des Seminarthemas spiegelte sich auch in der
Fächervielfalt der SeminarteilnehmerInnen wieder. Sie stammten nicht
nur aus verschiedenen Fachbereichen, sondern standen auch an verschiedenen
Abschnitten ihres Studium bzw. ihrer wissenschaftlichen Laufbahn.
Demzufolge erwarteten einige TeilnehmerInnen von dem Seminar, daß es
spezielle Fragen beantwortet, während andere sich zunächst einmal
einen ersten Eindruck von dem Diskussionsstand der Frauen- und
Geschlechterforschung in der Wissenschaftsgeschichte verschaffen wollten.
Dadurch ergaben sich äußerst facettenreiche Diskussionen zu den
verschiedenen o.g. Themen, die durch die Bereitschaft der TeilnehmerInnen,
Referate zu halten, vielschichtiger wurden. In der Abschlußsitzung zeigte sich in der kontroversen Diskussion der Stärken und Schwächen verschiedener Forschungsansätze, daß eine allen gemeinsame Basis entstanden war und daß einige TeilnehmerInnen ihre neu entstandenen Fragen weiter verfolgen wollen.
Wir möchten der Gemeinsamen Kommission Frauenstudien/Frauenforschung an Hamburger Hochschulen, dem Fachbereich Mathematik und dem Institut für
Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik dafür danken,
daß sie dieses Seminar zur Frauen- und Geschlechtergeschichte in der
Wissenschaftsgeschichte ermöglichten.
Den TeilnehmerInnen danken wir für die interessanten Diskussionen, aus denen wir viele Anregungen und weitere neue Gesichtspunkte zu den verschiedenen Texten mitnahmen. Hoffentlich ergeben sich weiterhin Möglichkeiten, um den genannten Fragestellungen im Rahmen des IGNs nachzugehen.
Helene Götschel, Mirjam Wiemeler
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