Nummer 27, April 1997
Die Idee zu dieser großen Exkursion entstand durch die Verleihung des Fischer-Appelt-Preises für das Jahr 1994 an unsere damalige Hochschulassistentin Frau Dr. Monika Renneberg, die freundlicherweise das damit verbundene Preisgeld zur Verfügung stellte. In gemeinsamer Anstrengung mit den Studierenden des Institutes konnte Frau Renneberg die Exkursion auf eine breitere finanzielle Basis stellen. Die Schimank-Stiftung, die Hamburgische Universitätsstiftung, die Georg-Agricola-Gesellschaft und die Stuttgarter Universität erklärten sich bereit, das von Frau Renneberg und den Studierenden erarbeitete Programm für die Italienreise zu unterstützen.
Um die Reise nicht vollkommen unvorbereitet anzutreten, haben wir uns vorher zu fünf Seminarsitzungen getroffen. Die Palette der Referate reichte von der politisch-ökonomischen Geschichte Oberitaliens über Architektur und Kunst der Renaissance bis hin zu wissenschaftshistorischen Schlaglichtern auf die Epoche. Die ReferentInnen standen darüber hinaus auch während der Reise für weitere Fragen zur Verfügung. Hinzu sollten der besseren Anschauung halber Referate vor Ort in Italien kommen. Aber auch das leibliche Wohl kam schon während der Vorbereitungszeit nicht zu kurz: Lasagne, Pesto, Parmesan, Chianti, Mozzarella und Pomodori standen bereits auf dem Speiseplan.
Wie abgesprochen standen wir dann am Donnerstag, dem 21. März, um 16.30 Uhr am Wagenstandsanzeiger auf Gleis 13 des Hamburger Hauptbahnhofes, wo die Mütter und Väter unter uns von ihren Kindern verabschiedet wurden. Nach einer sehr kurzweiligen Fahrt nach München begrüßten uns dort vier Stuttgarter StudentInnen mit ihrer Assistentin Frau Dr. Beate Ceranski. Damit war unsere Gruppe mit 26 TeilnehmerInnen und zwei Dozentinnen komplett und konnte den Nachtzug über den Brenner nach Florenz entern.
Dort angekommen brachen wir nach dem Einchecken im Hotel zu einem ersten Stadtrundgang auf. Dank der hervorragenden Führung durch eine der Teilnehmerinnen, Anja Wolkenhauer, bot sich uns sofort ein Eindruck von der Stadt, ihren Renaissance-Plätzen und -Palästen. Die Biblioteca Mediceo-Laurenziana und die imposante Michelangelo-Treppe, die Kirche der Zünfte Orsanmichele und Santo Spirito, die Piazza della Signoria und der Piazzale Michelangelo waren Orte, die uns durch Referate im Detail nahegebracht wurden. Zentral für diese Exkursion sollte -- und dies drückte sich bereits in diesem ersten Rundgang aus -- die Entwicklung der Zentralperspektive in der Renaissance werden.
Nachdem wir am nächsten Morgen das erste Geburtstagsständchen dieser Exkursion gesungen hatten, stand der Besuch des Museo di Storia della Scienza auf dem Programm. Es beherbergt einen umfangreichen Galileo-Saal mit schiefen Ebenen und einem Mittelfinger (von Galileo?) sowie ein weit gespanntes Spektrum an wissenschaftlichen Instrumenten. Weiterhin beeindruckten uns die Sammlung zur Chirurgie und Geburtshilfe der frühen Neuzeit und der Saal der Accademia del Cimento. Am Nachmittag folgte der Höhepunkt unseres Florenz-Besuches: die Besichtigung des Florentiner Domes. Ein Höhepunkt nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern auch aufgrund der Vogelperspektive, die wir uns durch den kräftezehrenden Aufstieg zwischen den beiden Schalen der Brunelleschi-Kuppel hart erarbeitet hatten. Danach hatten wir die Gelegenheit, die Konstruktion der Kuppel im Dommuseum am Modell nachzuvollziehen. Bei dem nachfolgenden Rundgang durch das Museum fiel uns die besondere Ausdruckskraft der von Michelangelo geschaffenen Skulptur Pietá auf. Hier wurden uns außerdem die Relieftafeln (hier die Originale) der von Ghiberti geschaffenen Paradiestüren durch ein Referat im Detail erklärt. Diese im Halbrelief gearbeiteten Bronzetafeln sind ein weiteres Beispiel für das Stilmittel der Zentralperspektive in der Renaissance. Wieder zurück auf dem Platz vor dem Dom sahen wir uns als letzten Programmpunkt des Tages das Baptisterium mit seiner beeindruckenden Mosaikkuppel und den Paradiestüren (hier am orginalen Platz) an. Einen Aspekt der Astronomiegeschichte ganz anderer Art bot uns am Abend das Erscheinen eines Kometen am Florentiner Himmel. Einige sahen ihn vom Galileo-Hügel aus, und auch von denen, die dabei waren, sahen ihn nur einige.
Neben dem Besichtigungsprogramm gaben die Italienkundigen unter uns oft und gerne Einführungen in die kulinarischen Genüsse, die Italien zu bieten hat. In Trattorien und Restaurants, Bars und Cafés kosteten wir zu jeder Tageszeit alles, was die italienische Küche zu bieten hat, und schlossen es mit Espresso und Grappa ab.
Am nächsten Tag ging es weiter: La Specola stand auf dem Programm. Das naturhistorische Museum aus dem 18. Jahrhundert ist besonders für sein anatomisches Wachsfigurenkabinett berühmt, das uns durch eine englisch sprechende Museumsangestellte kompetent vorgestellt wurde. Nach dem Besuch der zoologischen Sammlung blieb uns leider nur wenig Zeit zur Besichtigung des frühlingshaft blühenden botanischen Gartens, da wir um 12 Uhr vor Einlaßschluß am Kreuzgang von Santa Maria Novella sein mußten. Hier überraschten uns Uccellos eigenwillige Ansichten zur Perspektive, wie sie sich in seinen Fresken zur biblischen Sintflut darstellen.
Der entscheidende Programmpunkt zur Geschichte der Zentralperspektive fand an diesem Nachmittag statt. In dem 1529 entstandenen Fresko Trinität von Masaccio in Santa Maria Novella wurde die Zentralperspektive perfekt konstruiert und künstlerisch hervorragend ausgestaltet. Dieses Perspektivprogramm, das die Dominikaner im 16. Jahrhundert vertraten, konnten wir im Anschluß mit dem Perspektivprogramm der Franziskaner vergleichen, wie es sich in den Fresken von Giotto in Santa Croce darstellt. Der Tag klang aus in der milden Abendluft auf den Stufen vor Santa Croce.
Wir ließen Florenz mit Bedauern, aber auch mit Neugier auf Neues hinter uns und kamen nach einer einstündigen Zugfahrt in Bologna an, wo uns Dr. Stefano Belli empfing. Frau Ceranski ist es zu verdanken, daß dieser Fachkollege für uns ein Besichtigungsprogramm organisiert hatte, das uns einen Einblick in die wissenschaftshistorische Bedeutung Bolognas gab. Ausdruck dessen ist das anatomische Theater aus dem 17. Jahrhundert, in dem als einem der ersten Theater Europas öffentliche Anatomie-Vorlesungen gehalten wurden, sowie die naturhistorische Sammlung Aldrovandi als Beispiel der Wissenschaftskultur der Renaissance und die von Papst Benedikt XIV. gestiftete Bibliothek. Bei dem Aufstieg auf das Dach des Observatoriums, der uns an historischen astronomischen Instrumenten vorbeiführte, erhielten wir einen weiteren Einblick in die reichhaltige Universitäts- und Astronomiegeschichte Bolognas. Belohnt wurden wir durch einen eindrucksvollen Überblick über die Campanili von Bologna.
Salzige Meeresluft begrüßte uns am späten Abend während der Zugfahrt nach Venedig. Der erste Tag in Venedig begann mit dem zweiten Geburtstagsständchen dieser Exkursion und der Besichtigung von San Marco. Durch den Besuch der Basilica San Marco hatten wir die Gelegenheit, die Raumkonzeption des Mittelalters mit der der Renaissance, wie wir sie bis dahin gesehen hatten, zu vergleichen. Das anschließende Referat über die Gestaltung der Piazza San Marco, in der sich die politische Bedeutung des Platzes widerspiegelt, machte deutlich, wie groß die politische und ökonomische Macht der Republik Venedig in der Renaissance war. Gesichert wurde diese Macht auch durch den Flottenbau im Arsenal, für den aus ganz Oberitalien Holz geliefert wurde. Die Fahrt mit dem Vaporetto durch das Arsenal führte uns schließlich bis zum ehemaligen jüdischen Viertel, dem ersten Ghetto Europas. Nur durch einen Insider-Tip fanden einige von uns für den Abend Il Paradiso Perduto, wo wir venezianische Gaumenfreuden in Form von Tintenfischen und Venusmuscheln genossen.
Padua bot sowohl wissenschafts- wie auch kunsthistorisch eine weitere Perspektive. In der Capella dei Scrovegni der Franziskaner fanden wir Fresken vor (welch ein Blau!), die Giotto zwar räumlich angelegt, nicht aber mit einer Zentralperspektive konstruiert hatte. Das anatomische Theater, die Lehrkanzel Galileos und der botanische Garten machten ein weiteres Mal das vielfältige wissenschaftliche Leben in einer Universitätsstadt der Renaissance deutlich. Letzter Programmpunkt war die interessante astronomische Uhr in Padua, die nicht von Giovanni di' Dondi stammt. Nach einem letzten gemeinsamen Essen in Venedig stiegen wir in den Nachtzug nach München, verabschiedeten uns dort von den StuttgarterInnen und verschliefen den Rest der Fahrt nach Hamburg.
Bedanken möchten wir uns bei allen, die diese erlebnis- und lehrreiche Reise nach Italien finanziell und ideell ermöglichten, ganz besonders bei den bereits oben erwähnten Stiftungen und Gesellschaften sowie bei denjenigen, die ihre intimen Kenntnisse der Orte an uns weitergaben. Sicher wäre diese Exkursion niemals ohne Monika Renneberg zustande gekommen, die durch ihre Großzügigkeit den Anstoß für die Exkursion lieferte, durch deren Ideenreichtum die Exkursion erst interessant wurde und die als Lehrende sowohl das Seminar als auch die Exkursion so zu gestalten wußte, daß wir nicht nur kunst- und wissenschaftshistorisch viel gelernt haben, sondern auch persönlich reicher wieder nach Hause gekommen sind.
Swantje Middeldorff
Mirjam Wiemeler
Thermometer, Kondensationshygrometer und Trägheitsthermometer
Saggi di Naturali Esperienze fatte nell'Accademia del Cimento, Firenze 1667