Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

NACHRICHTEN
aus dem Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik
HAMBURG


Nummer 25, April 1995

IGN - Tourneeverdächtig?

Schon drei Wochen vor dem großen Tag war im IGN emsiges Treiben zu bemerken. Hotels für die geladenen Gäste wurden reserviert, Wein und die bewährten Lachsbrötchen bestellt, der "biologische" Blumenschmuck der Hochschule sichergestellt und allmittwochlich hinter verschlossenen Türen geprobt. Am 23. Januar war es dann soweit, Prof. Dr. Christoph J. Scriba durfte endlich erfahren, was sich hinter den Türen abgespielt hatte. Mit ihm hatten sich ca. 120 Gäste im Vortragssaal der Stabi zum Festkolloquium anläßlich seiner Emeritierung eingefunden.

Den Auftakt bildeteten Ansprachen des Universitätspräsidenten Dr. Jürgen Lüthje, des Fachbereichssprechers Prof. Dr. Ulrich Eckhardt und des IGN-Vizedirektors Prof. Dr. Andreas Kleinert. Im Namen der jeweiligen durch sie vertretenen Institution dankten sie Herrn Scriba für sein vorbildliches und unermüdliches Engagement in Lehre und Wissenschaft und wünschten ihm für das "neue Leben" viel Glück. Herrn Kleinert war es zudem wichtig zu betonen, daß Herr Scriba niemals, trotz seiner vielseitigen Forschungsinteressen, die sich in langen Publikationslisten und unzähligen Mitgliedschaften wissenschaftlicher Institutionen niederschlagen, die akademische Lehre zurückstellte, keine Vorlesung durfte ausfallen und stets war er für Angelegenheiten der Studierenden zu sprechen. Er prägte ein Institut mit "offenen Türen".

An die einleitenden Festansprachen schlossen sich fünf Vorträge von Wissenschaftshistorikern und Wisssenschaftshistorikerinnen an, die Herrn Scriba alle ein Stück weit in seiner wissenschaftlichen Laufbahn begleitet hatten. Zwei Zeitzeugen der Berliner Lehrtätigkeit zählten zu den Vortragenden. Prof. Dr. Eberhard Knobloch, heute Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Technischen Universität Berlin, promovierte bei dem damals frischgebackenen Professor Scriba in Berlin. Im Rahmen der Feierlichkeiten trug Herr Knobloch über die lateinische Rezeption der arabischen Astronomie im 15./16. Jahrhundert vor. Über einen bedeutenden Mathematiker und Astronomen der Renaissance, Johannes Praetorius (1537-1616) sprach Prof. Dr. Menso Folkerts, der heute an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Wissenschaftsgeschichte lehrt. Von 1969 bis 1974 als Assistent in Berlin hat auch er Herrn Scriba als Lehrer und späteren Kollegen kennen und schätzen gelernt.

Stellvertretend für Herrn Scribas zahlreiche Kontakte zu amerikanischen Kollegen sprachen Prof. Dr. Marjorie Senechal (Northampton, MA) und Prof. Dr. Joe Dauben (New York). Letzteren verbindet mit dem Emeritus viele Jahre gemeinsamer Arbeit in den Führungsgremien der internationalen wissenschaftshistorischen Gesellschaften. Die Kontakte zu Marjorie Senechal entstanden durch das zwischen der Universität Hamburg und dem Smith College (Northampton, MA) bestehende Austauschprogramm, das Herr Scriba genutzt hatte, um auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte einen regen wissenschaftlichen Austausch zwischen der deutschen und der amerikanischen Lehrinstitution einzuleiten. Mit einer beachtlichen Diashow - 72 Dias in 40 Minuten - illustrierte Joe Dauben am Festtag "The Art of Renaissance Science," während Marjorie Senechal die Anfänge der Wissenschafts- und Technikgeschichte in Albanien auf der Leinwand veranschaulichte.

Nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten baute und baut Herr Scriba noch immer Verbindungen auf. Schon vor der Wende förderte er in überdurchschnittlichem Maße den wissenschaftlichen Gedankenaustausch mit ostdeutschen und osteuropäischen Wissenschaftshistorikern und Wissenschaftshistorikerinnen. Seit 1989 ermöglichte er zudem zahlreichen russischen Wissenschaftlern/innen einen Forschungsaufenthalt in Deutschland. Aus diesen Interessen entstand u.a. eine langjährige Freundschaft zu dem Leipziger Mathematikhistoriker Prof. Dr. Hans Wußing, der mit Herrn Scriba zusammen in der International Union of the History and Philosophy of Science tätig war. Zum Festkolloquium sprach er über den aus seiner Heimat stammenden Psychophysiker und Anatomen Ernst Heinrich Weber (1795-1878).

Zum Abschluß der Vortragsreihe überreichten Joe Dauben, Menso Folkerts, Eberhard Knobloch und Hans Wußing dem Emeritus eine von ihnen herausgegebene Festschrift. Die ca. 20 wissenschaftshistorischen Beiträge sind unter dem Titel "Flores quadrivii" zusammengefaßt, der sich auf Professor Scribas Interesse am Bildungswesen des Mittelalters bezieht.

Mit der Übergabe der Festschrift war der wissenschaftliche Teil des Tages beendet. Bevor Dr. Monika Renneberg, Assistentin am IGN, den humoristischen Teil des Tages einläutete, ergriff Christoph J. Scriba selbst das Wort. Mit sehr persönlichen Worten dankte er zunächst für das "goldene Tor", das man ihm mit der Gestaltung des Festkolloquiums gebaut habe, und hielt dann eine kurze mit bewegenden und lustigen Anekdoten versehene Rückschau auf sein Leben als Wissenschaftler. Sie endete mit der Formulierung eines Lebensprinzips, sich den Aufgaben der Arbeit, der Gesellschaft und der menschlichen Umgebung zu stellen und sie möglichst gut zu meistern.

Geschminkt, toupiert und kostümiert hatten die Studierenden Herrn Scribas herzlichen Worten gelauscht. Kaum war die Rede beendet, setzte allerdings ein geschäftiges Treiben ein. Die Bühne wurde mit den Utensilien für eine himmlische Geburtstagsfeier geschmückt: David Hilberts 133. Geburtstag sollte kalendergerecht gefeiert werden. Durch den Abend auf der Bühne geleitete John Wallis, der Protagonist des DFG-Projektes von Herrn Scriba. Unermüdlich begrüßte er auf der Bühne die geladenen Mathematiker, stellte sie dem Publikum vor und reichte ihnen zum Empfang ein Glas Sekt. Der neunfache Bernoulli-Darsteller wurde zu seiner Genugtuung besonders reichhaltig versorgt. Andere waren weniger zufrieden. So sehnte sich der arabische Mathematiker Al-Kas¯ zurück ins Mittelalter, Thomas Hobbes durfte unter Wallis' wachsamen Augen keine Flugblätter aufhängen und Blaise Pascal wurde verwehrt, eines seiner unlösbar scheinenden mathematischen Rätsel als Preisfrage zu formulieren. Mit dem IGN-Leben vertraute Zuschauer konnten neben der neuen Interpretation der Mathematikgeschichte auch kleine Persönlichkeitsmerkmale von Herrn Scriba im Libretto wiederfinden. Nicht zufällig stritten sich Leibniz und Newton um die Erfindung der Differenzierung des Apfels in Form von Apfelmus, der bevorzugten Mittagsmahlzeit des Emeritus. Auch Leonardo da Vincis Auftritt in regensicherer Fahrradkleidung sollte wohl nicht nur an seine Bemühungen um die Erfindung des Fahrrads erinnern, sondern auch daran, daß Herr Scriba alltäglich aus Uhlenhorst ans IGN geradelt kommt. Das herzliche Lachen von Herrn Scriba belohnte die Schauspieler und Schauspielerinnen. Ausgelassen und fröhlich verließen nach Abschluß der Vorstellung auch alle anderen Gäste und Mitwirkenden den Vortragssaal, so daß sich anschließend Groß und Klein, Nachwuchs bis Emeriti zu einem harmonischen Ausklang beim abendlichen Buffet einfanden.

Zum Schluß sei den Sponsoren des Festkolloquiums herzlich gedankt: der Hansischen Universitätsstiftung, der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, der Hans Schimank-Gedächtnis-Stiftung, der International Union of the History and Philosophy of Science und der Internationalen Kommission für Geschichte der Mathematik. Ein besonderer Dank geht an die Staats- und Universitätsbibliothek, die uns ihren Vortragssaal und die Kantine zur Verfügung gestellt und ganz wesentlich zum Gelingen der Veranstaltung beigetragen hat.

Marielle Cremer


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wwwign, 10. August 1995