Universität Hamburg Fachbereich 11 Mathematik

NACHRICHTEN
aus dem
Institut für Geschichte der
Naturwissenschaften, Mathematik und Technik

HAMBURG

Nummer 34, 2004

Chronik von März 2003 bis März 2004


Inhalt

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des SPGN

Chronik und Berichte -- März 2003 bis März 2004

Habil-, Doktor-, Diplom- und Studienarbeiten am SPGN

Vorträge der MitarbeiterInnen des SPGN

Veröffentlichungen der MitarbeiterInnen des SPGN

Lehrveranstaltungen in den letzten zwei Semestern
SS 2003 und WS 2003/04

Kolloquien und Gastvortäge in den letzten zwei Semestern
SS 2003 und WS 2003/04

Exkursionen des SPGN

Impressum

Chronik vom März 2003 bis März 2004

Das wichtigste Ereignis im Berichtszeitraum ist sicher das internationale Symposium ,,Signs and the Design of Life -- Uexküll's Significance Today'' (Zeichen und der Bauplan des Lebens -- Uexkülls Bedeutung heute), das anläßlich der feierlichen Eröffnung des ,,Jakob von Uexküll-Archivs für Umweltforschung und Biosemiotik'' vom 9. bis 11. Januar 2004 stattfand, organisiert von Torsten Rüting.

Seit 1. April 2003 ist die Geschichte der Biologie wieder vertreten; Prof. Dr. Stefan Kirschner aus München nahm im Sommersemester 2003 seinen Dienst auf. Herr Kirschner ist Mitherausgeber der ,,Nicolaus-Copernicus-Gesamtausgabe''.

Ein Highlight war am 1. Dezember 2003 der Kolloquiums-Experimentalvortrag von Prof. Dr. Willy Schmidt (Lübeck) mit dem Thema ,,Alexandrinische Mechaniker -- Eine unterhaltsame Betrachtung über ein folgenreiches Kapitel antiker Technik''. Das Museion in Alexandria (Ägypten), das von etwa 320 v.Chr. bis 300 n.Chr. Mittelpunkt antiker Gelehrsamkeit war und an der u.a. Euklid, Archimedes und Ptolemaios studierten und lehrten, war auch die Geburts- und Pflegestätte einer uns heute kurios anmutenden technischen Mechanik. Dabei sollte daran erinnert werden, daß das griechische Wort ,,μηχαναω'' ursprünglich ,,eine List ersinnen'' bedeutet. Überraschend, was die ,,Listenreichen'' sich alles ausdachten! Einige Ergebnisse dieser antiken Mechanik wurden in Modellen, die von der Fachhochschule Hamburg hergestellt worden waren (unter Mitwirkung von Herrn Berthold Witte), von Jürgen Gottschalk und Wolfgang Lange vorgeführt und sogar als Video aufgenommen (Dr. Hans-Christian Dehne und Dr. Jürgen Trahms).

In Göttingen gab es vom 26. Oktober 2003 bis 18. Januar 2004 eine interessante Ausstellung ,,Russland und die ,Göttingische Seele''' im Rahmen von Aktivitäten zu ,,300 Jahre St. Petersburg''. An der Ausstellung, am Katalog und der zugehörigen Vortragsreihe beteiligten sich Karin Reich und Elena Roussanova. An der Ausstellungseröffnung nahmen mehrere Mitglieder unseres Instituts teil.

Die Reihe ,,Nuncius Hamburgensis -- Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften'' (Hamburg: Hamburg University Press) wurde 2003 gegründet, unterstützt von der Schimank-Stiftung. Als erster Band erscheint im Jahr 2004 ,,Hans Schimank (1888--1979) Ausgewählte Schriften. Mit einem Beitrag ,Hans Schimanks Otto von Guericke' von Fritz Krafft. Bearbeitet von Igor Abdrakhmanov.''

Der Schwerpunkt plant ein Symposium ,,From Magnetism to Electrodynamics'' anläßlich des 200. Geburtstags von Wilhelm Weber zu veranstalten. Als Termin ist vorgesehen: 10.--12. März 2005 (Donnerstag bis Samstag). Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch. Ergänzend zum Symposium soll auch eine Ausstellung in der Staatsbibliothek Hamburg im März und April 2005 dargeboten werden. http://www.math.uni-hamburg.de/spag/ign/events/weber04.htm

Karin Reich organisierte und leitete die Tagung der DMV, Sektion Geschichte der Mathematik, in Rostock, 14. bis 19. September 2003.

Gudrun Wolfschmidt organisierte im September 2003 mit Axel Witmann (Göttingen) und Wolfgang Schmidt (Freiburg) eine Tagung des Arbeitskreises Astronomiegeschichte mit dem Thema ``Development of Solar Research'' in Freiburg im Breisgau, einem Zentrum der Sonnenforschung, die unter internationaler Beteiligung stattfand. Nun ist sie mit der Herausgabe der Proceedings beschäftigt. Ferner nahm Gudrun Wolfschmidt an diversen Tagungen im In- und Ausland teil. Bibliotheksrecherchen wurden in Göttingen, München und Marseille durchgeführt. Eine Forschungsreisein im August/September 2003 die USA diente dem Studium wissenschaftlicher Instrumente, besonders in Harvard University, Boston Science Museum und in Washington (Air & Space Museum, National Museum of American History). In der Gauss-Gesellschaft wirkte sie im Vorstand als Herausgeber der Mitteilungen. Schließlich ist sie Vorsitzende des Fördervereins Hamburger Sternwarte. Im Jahr 2003 organisierte sie wieder in der Hamburger Sternwarte die ,,Lange Nacht der Museen'', den ,,Tag der Offenen Tür'' und die Mittwochs-Vortragsreihe im Sommer, alles in Kooperation unseres SPGN mit der Hamburger Sternwarte; zusätzlich gab es zwei literarische Angebote von Rena Larf (Hamburg) und Guido Fahrendholz (Berlin): Lesung unterm Sternhimmel: Traumhafte Lyrik und Kurzgeschichten zum Thema: ,,Sonne, Mond und Sterne'' (2. Juli 2003) und die Weihnachts-Lesung ,,Sternenzauber zur Weihnachtszeit'' (3. Dezember 2003); beide Lesungen wurden mit Bildmaterial in einer PowerPoint-Präsentation illustriert. Am Samstag 23. August 2003 wurde zudem am ,,Bundesweiten Astronomietag'' mit einem reichhaltigen Programmangebot in der Sternwarte teilgenommen.

Die neue Adresse von Christian Hünemörder im Rheinland ist: Weizenfeld 2, 51545 Waldbröl, Tel.: 02291/808236, e-mail: ch.huenemoerder@freenet.de

Jost Weyer nahm vom 20. bis 22. März 2003 an der Tagung der Fachgruppe ,,Geschichte der Chemie'' der Gesellschaft Deutscher Chemiker in Cottbus teil. Auf dieser Tagung erhielt Frau Roussanova den Bettina-Haupt-Förderpreis für ihre Diplomarbeit über Julia Lermontova als erste promovierte Chemikerin, die von Herrn Weyer betreut worden war. Auch in diesem Jahr widmete er sich der Arbeit an seiner Chemiegeschichte. Inzwischen sind von den etwas mehr als dreißig Kapiteln acht fertiggestellt, so dass noch ein paar Jahre vergehen werden, bevor sein ,,magnum opus'' vollendet ist. Auch die Dauerausstellung über Graf Wolfgang von Hohenlohe und die Alchemie in Schloß Weikersheim nahm noch einmal seine Zeit in Anspruch. Dort sind immer noch zahlreiche Korrekturen auszuführen, deren Erledigung für mehr als ein Jahr zum Erliegen gekommen war. Bei einem Weikersheim-Aufenthalt im Mai 2003 fand im Schloss ein Dreier-Treffen zusammen mit einer Vertreterin der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg und einem Vertreter des Staatlichen Vermögens- und Hochbauamtes Heilbronn statt, wobei in allen Punkten bezüglich der Korrekturen Einigkeit erzielt wurde. So besteht die Hoffnung, dass zum Saisonbeginn im Frühjahr 2004 diese Phase der Nachbereitung endgültig abgeschlossen ist. Schließlich wurden auch die Forschungsarbeiten im weiteren Umkreis zum Thema Wolfgang von Hohenlohe und die Alchemie fortgesetzt. Während eines zweiten Weikersheim-Aufenthalts machte er einen Abstecher nach Neuenstein und arbeitete vom 10. bis 12. September in Hohenlohe-Zentralarchiv. Schwerpunkte seiner archivalischen Recherchen waren dieses Mal Dokumente zur praktischen Chemie in Weikersheim unter Wolfgangs Nachfolger Georg Friedrich von Hohenlohe und zum Schicksal des alchemischen Laboratoriums.

Igor Abdrahmanov nahm an folgender Tagung teil: International Society for the History, Philosophy and Social Studies of Biology (ISHPSSB meeting 2003) in Wien von 16. bis 20. Juli 2003. Dabei wurde Herr Abdrahmanov in das ,,Student Advisory Committee'' gewählt (bis 2005).

Constantin Canavas arbeitet auf dem Gebiet der Geschichte der Alchemie und der Regelungen mit besonderer Berücksichtigung der Spätantike und des arabisch-islamischen Kulturraums. Der Schwerpunkt in der arabisch-islamischen Alchemiegeschichte liegt in der Untersuchung von Illustrationen arabischer alchemischer Handschriften. Dazu diente ein Besuch in der Handschriftenbibliothek der St. Petersburger Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften im August 2003. Theoretische Ansätze vergleichender Ikonographie und hermeneutische Modelle zu Überlieferungsstrategien der Wissensrepräsentation führten zu einem Austausch mit dem SFB ,,Erinnerungskulturen'' der Universität Gießen. Für die Verörtung der Alchemie vor dem Horizont der arabisch-islamischen Geistesgescichte erschien außerdem die Einbeziehung philosophisch-theologischer Traditionen mit Bezug auf die Naturwissenschaften als sehr hilfsreich. Auf dem Schwerpunkt der Regelungen wurden in vergleichenden Studien Fäden verfolgt, welche die Wechselwirkung zwischen Entwicklungen von Regelungskonzepten in Technik, politischen Theorien und Biologie bzw. Physiologie erschließen und das lange Leben einer (sehr alten) Fazination der Kontrolle belegen. Constantin Canavas ist für das ganze Sommersemester 2004 auf Praxissemester in Griechenland.

Katrin Cura hat ihre Dissertation über die ,,Die Geschichte der Klebstoffe'' begonnen, die von Frau Gudrun Wolfschmidt betreut wird. Quellenrecherchen hat sie in der Kunstbibliothek des Preussischen Kulturbesitz in Berlin durchgeführt und einen Vortrag über das Thema auf der Jahrestagung der Georg-Agricola- Gesellschaft gehalten. Eines der Ziele unseres Schwerpunktes ist es, die Geschichte der Naturwissenschaften auch in der Schule, besonders im Gymnasium, zu fördern. So verfolgt Katrin Cura auch weiterhin ihr Ziel, die Geschichte der Naturwissenschaften im Unterricht zu thematisieren. Im diesem Zusammenhang besuchte sie mit Schülern die Schwerpunkts-Bibliothek, lud Dr. Rüting in den Unterricht ein und führte eine Exkursion durch. Über die Aktivitäten bzgl. der Zusammenarbeit zwischen Geschichte der Naturwissenschaften und der Schule informieren die Berichte S. 19 und 20.

Jürgen Gottschalk ist weiterhin mit seiner Forschungsarbeit über Leibniz' Arbeiten (Entwürfe, Berechnungen, Planungen) auf technischen Gebiet -- auch in Verbindung zu den übrigen Leibnizforschungsstellen (Hannover, Münster und Berlin) und des IGN Hamburg -- beschäftigt. Im Personenlexikon ,,Hamburgische Biografie'', Band 2, erschienen von Jürgen Gottschalk zwei Beiträge: 1. über Baudirektor Dr.-Ing. Kurt Förster (1904--1987). Er war bei ,,Strom- und Hafenbau'' tätig und hatte u.a. wesentlichen Anteil am Wiederaufbau des im 2. Weltkrieg zerstörten Hamburger Hafens, ferner besaß er Patente für neuartige Schiffsdalbenkonstruktionen und war ein geschätzter Planer und Gutachter für weitere Hafenanlagen im In- und Ausland. 2. über Oberbaudirektor Professor Otto Sill (1906--1984). Als Leiter des Tiefbauamtes der Baubehörde leistete er einen bedeutenden Beitrag zum Wiederaufbau Hamburgs nach Kriegsende (1947: Aufstellung eines Generalverkehrsplans, 1954 bis 1970: Flughafenausbau, 1964 bis 1968: Ausbau der Müllverbrennungsanlage Borsigstraße, 1966 bis 1969: Erweiterung des Klärwerks Köhlbrandhöft). Seine Fachkompetenz war auch auf Bundesebene und im Ausland gefragt. Für den in Vorbereitung befindlichen Band 3 liegen von J. Gottschalk zwei weitere Beiträge vor: 1. über Baudirektor Curt Merckel (1858--1921). Er war zunächst in der Baudeputation tätig. Mit Erweiterung seines Tätigkeitsbereich wurde ihm ab 1912 die Leitung des Dezernats für Transportwesen, Eisenbahn, Stadterweiterung, Straßenreinigung, Abfuhr und Vermessung übertragen. 2. über Wasserbaudirektor Christian Nehls (1841--1897). Nehls war nach 1870 Leiter der ,,Sektion für Strom- und Hafenbau'' der Baudeputation und maßgeblich beteiligt am Generalbebauungsplan für das Freihafengebiet. Er genoß hohes Ansehen als Wissenschaftler und Mathematiker und wurde 1880 zum außerordentlichen Mitglied der Königlich Preußischen Akademie für Bauwesen ernannt. Anfang Dezember 2003 erschien das Buch ,,Die 4. Röhre des Elbtunnels in Hamburg'' -- Eine Dokumentation über neue Wege in der Bau- und Arbeitsvorbereitung, Baudurchführung und für die Sicherheit von Straßentunneln. (ISBN 3-00-012594-9). Auf der Herbsttagung der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg mit dem Thema ,,Mathematische Modellierung'' hat Jürgen Gottschalk am Samstag, den 08. November 2003 über ,,Die vierte Röhre des Elbtunnels in Hamburg -- Konstruktion und statische Belange'' vorgetragen und nachmittags eine Exkursion zur Tunnelbetriebszentrale (zuständig für alle vier Elbtunnelröhren) geleitet.

Dieter Herrmann hat in 2003 den institutionellen Briefwechsel aus dem Schimank-Nachlass bearbeitet. Gegenstand war die Korrespondenz mit Universitäten und wissenschaftlichen Vereinigungen, mit Bildungseinrichtungen von beruflichen und politischen Organisationen, mit Kommunen und Ministerien, mit Firmen sowie Archiven. Insgesamt sind etwa 120 Einrichtungen erfasst worden mit etwa 1300 Briefen und anderen Dokumenten (ausgenommen: die Materialien zur Institution VDI). Herrn Herrmanns Auswertung führte zu statistischen Beschreibungen, der Heraushebung der jeweiligen Funktion bzw. Einbindung Schimanks in die betreffende Einrichtung, sowie von Merkmalen seiner speziellen Aktivitäten. Beispiele sind: Vereinbarungen zu Vorträgen, Gutachten zur Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten, Empfehlungen zur Einrichtung von Lehrstühlen und deren Besetzung, Vorbereitung von Gedächtnisfeiern, Firmengeschichte, Nachforschung in Archiven, Austausch von Quellenmaterial. In Ergänzung zur Korrespondenz mit Personen wird auf diese Weise das Bild des Forschers, Lehrers und Bildungspolitikers Schimank abgerundet.

Jürgen W. Koch befaßt sich seit etwa einem Jahr mit der Redaktion der Chronik zum 750-jährigen Gründungstag unserer Gemeinde Holm am 29. April 2005.

Pia Köppel legt seit 2003 unter Betreuung von Gudrun Wolfschmidt eine Datenbank unserer Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und didaktischer Objekte an; das Projekt wird finanziell unterstützt von der Schimank-Stiftung.

Henning Krause übernahm seit Februar 2003 bis März 2004 die regelmäßigen Führungen in der Ausstellung ,,Wandel im Weltbild -- Von Copernicus bis zur modernen Kosmologie'' in der Hamburger Sternwarte in Bergedorf, eine Zusammenarbeit des Schwerpunkts mit der Hamburger Sternwarte und dem Förderverein Hamburger Sternwarte. Herr Krause informierte sich im Rahmen seines einwöchigen Studienaufenthalts (1. bis 7. September 2003) am Deutschen Museum über interessante Themen für seine Diplomarbeit. Für Ihre freundliche Beratung sei Herrn Füßl, Herrn Eckert, Herrn Wolff, Herrn Hashagen, Herrn Petzold und Herrn Heinzerling gedankt. Seit Oktober 2003 arbeitet Herr Krause als studentische Hilfskraft in der Bibliothek Geschichte der Naturwissenschaften. Herr Krause absolvierte ab Februar 2004 ein sechswöchiges Praktikum beim Hamburger Abendblatt im Ressort Wissen. Für die Sonnabend-Ausgabe, 6. März 2004, schrieb er den Titelseiten-Aufmacher (http://www.abendblatt.de/daten/2004/03/06/270341.html). Er wird auch weiterhin Kontakt zu den dortigen Wissenschaftsjournalisten pflegen.

Jürgen Kühl (Tremsbüttel) bearbeitet das Forschungsprojekt: {it Recheneinschreibebücher in Schleswig-Holstein Recheneinschreibebücher sind umfangreiche Handschriften aus der Zeit zwischen 1500 und 1850, in denen die Bearbeitung von Aufgaben aus einem oder mehreren Rechenbüchern protokolliert ist, ,,eingeschrieben'' wurde, wie es in diesen Büchern meist heißt. Inzwischen haben sich innerhalb Schleswig-Holsteins in Archiven, Bibliotheken und im Privatbesitz über 100 bis zu 850 Seiten starke Exemplare gefunden. Es gibt drei Schwerpunkte: Arbeiten von Schülern, Arbeiten von Rechenmeistern oder Amateuren, die sich zumeist mit Veröffentlichungen von Mitgliedern der ,,Kunstrechnungsliebenden Sozietät in Hamburg'' befassen und Arbeiten in Verbindung mit Navigationsschulen, vor allem auf der Insel Föhr. Die dort ansässige Ferring-Stiftung hat für diesen Zweck bereits zweimal mehrtägige Aufenthalte auf der Insel finanziert, um weiterreichende Studien zu ermöglichen. Der Stiftung sei hiermit ganz herzlich gedankt. Im übrigen Deutschland kamen ohne systematische Suche weitere 15 Exemplare von Einschreibebüchern ans Tageslicht. Der Arbeitsschwerpunkt lag im vergangenen Jahr auf den Navigationshandschriften.

Wolfgang Lange bearbeitet den Briefwechsel Gauß -- Benzenberg. Carl Friedrich Gauß (1777--1855) hat neben seiner umfangreichen Publikationtätigkeit einen umfangreichen Briefwechsel geführt. Von diesem Briefwechsel ist der mit Bolyai, Schumacher, Gerling, A. von Humboldt, Olbers, Zimmermann, Bessel und J.G. Repsold veröffentlicht. Die Bedeutung zeigt sich in den umfangreichen reprints. Zu dem nicht veröffentlichten Material gehört der Briefwechsel mit Johann Friedrich Benzenberg (1777--1846). Im Nachlass Gauß existieren ca. 45 Briefe von Benzenberg an Gauß, nur wenige kurze Notizen von Gauß an Benzenberg. Benzenberg ist im Schöller, im Bergischen Land bei Wuppertal geboren. Sein Vater ist Pastor in der dortigen Reformierten Gemeinde. Über seine Jugend ist nichts bekannt. Bis 1798 besucht er die Hohe Schule Herborn und die Universität Marburg, um dort Theologie zu studieren. Nach eigenem Bekunden lernt er während dieser Zeit nur das freie studentische Leben kennen. Das ändert sich schlagartig als er 1797 nach Göttingen kommt. Dort kommt er mit den führenden Naturwissenschaftlern der Zeit Lichtenberg und Blumenbach zusammen. Ob diese erst sein naturwissenschaftlich-astronomisches Interesse wecken ist unbekannt. Sicher ist nur, dass er seine ganzes Leben an physikalischen Fragen interessiert ist und dazu auch publiziert. Seine große Liebe aber gilt der Astronomie. Äußeres Ergebnis der Göttinger Zeit ist die Publikation 1800 seines ersten Werkes, zusammen mit H.W. Brandes, ,,Versuche, die Entfernung, die Geschwindigkeit und die Bahnen der Sternschnuppen zu bestimmen''. In dieser Zeit muß er Gauß kennengelernt haben. Der Briefwechsel beginnt am 27. Januar 1802 mit einem Brief aus Hamm -- Benzenberg hatte Göttingen bereits wieder verlassen, in Duisburg promoviert und eine Stellung in dem Mädchenerziehungsinstitut von Caroline Rudolphi angenommen. Seine erster Brief betrifft astronomische Fragen, vor allem Fragen nach dem neu entdeckten Planeten Ceres. Während seines kurzen Aufenthalts 1802 bis 1803 führt er die Versuche durch, deren man sich heute in Hamburg erinnern sollte. Für Jedermann war es selbstverständlich zu glauben, dass sich die Erde um ihre eigenen Achse dreht; es fehlt nur der Beweis. Frühere Versuche von Robert Hooke und Guglielmini waren erfolglos. Benzenberg kann durch Fallversuche in der Michaeliskirche als erster exakt nachweisen, dass die schon lange vermutet Ost-West-Abweichung beim freien Fall vorhanden ist. Die Ergebnisse werden veröffnetlicht in: ,,Versuche über das Gesetz des Fall. über den Widerstand der Luft und über die Umdrehung der Erde'' 1804. Eine Neuberechnung dieser Ergebnisse unter Berücksichtigung der Versuche von Ferdinand Reich 1832 erscheint 1845. Es ist Benzenbergs Schicksal, dass L‚on Foucault später einen einfacheren und augenfälligeren Versuch durchführt. Von Hamburg geht Benzenberg in seine alte Heimat zurück. Dort mischt er sich in die Tagespolitik durch Publikationen in Zeitungen. Reise nach Paris bringen ihn mit führenden französischen Naturwissenschaftlern (z.B. LaPlace) zusammen -- die er mehrfach Gauß gegenüber als Autoritäten zitiert. Der Briefwechsel wendet sich nach 1810 den Problemen der barometrischen Höhenmessung zu. Danach spiegeln sich hauptsächlich sein alten Interessen wider: es geht um die Errichtung von Sternwarten und das nicht nur für Universitäten und Akademien, sondern auch für Gymnasien. Einen breiten Raum nimmt die Finanzierung ein, die er für nicht so schwierig hält. Benzenberg selbst erfüllt sich seinen Lebenstraum, indem er eine Privatsternwarte in Bilk (heute Stadtteil von Düsseldorf) errichtet. Die Sternwarte wird 1845 in Betrieb genommen. Im Nachlass befinden sich nur wenige kurze Antwortbriefe, die zeigen, dass Gauß stets herzlich, aber in der Sache streng die manchmal etwas fordernden Briefe beantwortet. Es schimmert stets durch, dass er Benzenberg nicht zu den führenden Naturforschern der Zeit zählt. Der Briefwechsel gibt nur wenig Auskunft über private Vorkommnisse, da eine Vertrautheit nie aufkommt. Es fehlt z.B. jeder Hinweis auf den zeitlich nahen Tode beider Ehefrauen (Charlotte Benzenberg stirbt 20jährig am 9.1.1809, Johanna Gauß stirbt 29jährig am 11.10.1809), sowie der Unfall und Schlaganfall Benzenbergs 1824, der ihn lebenslang am Schreiben hinderte. Die Briefe werden einem Sekretär diktiert, Benzenberg unterschreibt in einer sehr eckigen Schrift. Von dem, was man an Benzenberg als ,,ersten rheinischen Liberalen'' bezeichnet hat, fehlt jede Spur. Politik spielt im Briefwechsel mit Gauß keine Rolle, wohl aber im Leben Benzenbergs. Es gibt von Benzenbergs vielen selbstständigen Schriften kein verlässliches Verzeichnis. Noch viel weniger weiss man über seine Publikationstätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften, bis auf seine Tätigkeit im {sc Westphälischen Anzeiger. Zur Bearbeitung wurden die Briefe eingescannt. Sie liegen z.Zt. in Dateien im txt-Format vor. An Korrekturen und an dem Apparat wird noch gearbeitet.

Cornelia Lüdecke hat seit 1.10.2003 ihr Forschungsprojekt begonnen mit dem Thema ,,Wissenschaftsgeschichtliche Aufarbeitung ausgewählter deutscher Polarexpeditionen im Zeitraum 1900 bis 1945 hinsichtlich Geschichte der Polarforschung und Polararchäologie/Denkmalschutz''. Förderer ist die Fritz-Thyssen-Stiftung, Köln; die Laufzeit des Projekts ist bis zum 30.9.2005. Kurzbeschreibung: Nachdem Ende 2000 durch die Gründung des International Polar Heritage Committee (IPHC) ein besonderes Augenmerk auf die Überreste von Expeditionen in Polarregionen gerichtet wurde, soll nun dieser Aspekt auch in Deutschland erstmals bearbeitet werden, dessen nationale Vertreterin im IPHC Cornelia Lüdecke ist. Ziel des vorgeschlagenen Projektes ist, durch umfangreiche Archivarbeiten herauszufinden, wo ausgewählte deutsche Expeditionen und Hilfsexpeditionen im Zeitraum 1900 bis 1945 ihre Stationen, Observatorien, Stützpunkte und Depots eingerichtet hatten und wie sie ausgestattet waren. Dazu gehört neben der gezielten Auswertung des gedruckten Materials vor allem auch die Suche nach weiteren Informationsquellen wie Tagebücher, Fotos, Filme usw. in Archiven und Nachlässen im Familienbesitz. Diese Archivstudien sollen für die jeweiligen Feldstudien einerseits die benötigten Angaben liefern, wo was zu finden ist, und andererseits die Identifizierung des Gefundenen ermöglichen. Anschließend sollen neben projektrelevanten Ergebnissen auch wichtige Informationen für konservatorische Maßnahmen hinsichtlich eines künftigen Denkmalschutz in den Polargebieten erzielt werden. Das erste Teilprojekt betrifft die Dokumentation von Überresten deutscher Marinewetterstationen aus dem Zweiten Weltkrieg in Spitzbergen, die in Kooperation mit schwedischen Kollegen von der Universität in Ume{aa und der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm geplant ist. Im zweiten Teilprojekt sollen die bisherigen Fundorte von Expeditionsrelikten der Ende 1912 in Nordostspitzbergen verunglückten Schröder-Stranz-Expedition und das der während einer Hilfsexpedition gesunkene Schiff ,,Loevenskj{old'' in Zusammenarbeit mit der Tauchgruppe von Prof. Fricke vom Max-Planck-Institut in Seewiesen dokumentiert werden. Das dritte französisch-deutsch-englische Gemeinschaftsprojekt beinhaltet archäologische Feldarbeiten auf den französischen Kerguelen (Südindischer Ozean) auf dem Gelände der ehemaligen englischen Station zur Beobachtung des Venustransits vor der Sonne aus dem Südsommer 1874/75 und der am selben Ort 1901--03 betriebenen deutschen meteorologischen und magnetischen Station in der Beobachtungsbucht. Cornelia Lüdecke besuchte im Rahmen ihrer Forschungen das Bundesarchiv in Berlin vom 8. bis 9.9.2003. Sie nahm an der Tagung der ,,Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte'' in Heidelberg, 29.--31.5.2003, teil, die unter folgendem Thema stand ,,Blendung, Täuscher, Scharlatane: Betrug in den Wissenschaften''. Ferner war sie auf der Vorstandssitzung der ,,Deutschen Gesellschaft für Polarforschung'' in Kiel, Geomar, am 16.3.2003 und leitete die Mitgliederversammlung des Arbeitskreises ,,Geschichte der Polarforschung'' am 17.3.2003. Sie war auch auf der Vorstandssitzung der ,,Deutschen Gesellschaft für Meteorologie'' am GeoForschungsZentrum in Potsdam vom 21. bis 22.9.2003 und leitete die Mitgliederversammlung des Fachausschusses ,,Geschichte der Meteorologie'' am 25.9.2003. Zusammen mit Hans Volkert, Oberpfaffenhofen, organisierte und leitete sie die 4. Tagung des Fachausschusses ,,Geschichte der Meteorologie'' am Telegraphenberg in Potsdam vom 25. bis 26.9.2003; das Thema war ,,Die Entwicklung der Meteorologie im 19. Jahrhundert''. Schließlich übernahm Cornelia Lüdecke die polar- und meteorologiehistorische Beratung bei Lore Prasch (München) für die Filmproduktion des BR, und zwar für den Film über Josef Enzensperger, gesendet am 5.1.2004 unter dem Titel ,,Von Deutschlands höchstem Gipfel ans Ende der Welt. Der Meteorologe Josef Enzensperger''. Weitere wissenschaftliche Beratungen lieferte sie für das Sterntagebuch (Leipzig) für eine Filmproduktion über den Krieg im Nordmeer und für die JC Filmproduktion (Wiesbaden) für die ARD für einen Film über Expeditionen im Dritten Reich.

Gabriele Perner bearbeitete seit Mitte 2003 bis Februar 2004 ein Projekt ,,Frauen in der Naturwissenschaft'' (Aufbereitung fürs Internet), gefördert vom Frauenförderfond der Universität Hamburg; Antragstellerin ist Gudrun Wolfschmidt. Die Arbeit wird fortgesetzt und vollendet im SS 2004 von Joachim Feltkamp.

Elena Roussanova arbeitet weiter an der Fragestellung der deutsch-russischen Beziehungen in der Chemie. Während ihres Aufenthaltes in St. Petersburg im Februar 2003 setzte sie ihre Recherchen im Archiv der Akademie der Wissenschaften (St. Petersburger Filiale), im Russischen Staatsarchiv, im staatlichen Zentralarchiv der Stadt St. Petersburg und in der Handschriftenabteilung der Russischen Nationalbibliothek fort. Sie reiste nach Moskau und sichtete in der Moskauer Filiale des Archivs der Akademie der Wissenschaften eine Reihe von Dokumenten. In Moskau recherchierte sie auch in der Russischen Staatsbibliothek. Weitere Recherchen in Deutschland führte sie vorwiegend in der Handschriftenabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen durch. Elena Roussanova nahm vom 20. bis 22. März 2003 an der Tagung der Fachgruppe ,,Geschichte der Chemie'' der Gesellschaft Deutscher Chemiker in Cottbus teil. Vom 12. bis 13. September 2003 war sie bei dem internationalen Symposium ,,Lavoisier in Perspective'' im Deutschen Museum in München. Anfang des Jahres 2003 begann für Roussanova interessante Mitarbeit an dem Ausstellungsprojekt in Göttingen, anläßlich des Jubiläums von St. Petersburg. Sie nahm an den Sitzungen des Beratergremiums der Ausstellung in Göttingen teil. In der Ausstellung ,,Russland und die ,Göttingische Seele': 300 Jahre St. Petersburg'', die in der Paulinerkirche Göttingen präsentiert wurde, übernahm Elena Roussanova zwei Beiträge über die zwei ersten Frauen-Promotionen in den Naturwissenschaften: von der Chemikerin Julia Lermontowa und Mathematikerin Sofja Kowalewskaja, und über den Chemiker Friedrich Konrad Beilstein, der auch im Mittelpunkt ihrer Doktorarbeit steht. Sie initiierte die Aufnahme des Themas ,,Friedrich Wöhler'' in die Ausstellung, das vom Göttinger Chemiehistoriker Dr. Günther Beer bearbeitet wurde. Im Rahmen dieser Ausstellung wurde am 29. Oktober 2003 in Göttingen an dem historischen Gebäude von Friedrich Wöhlers chemischem Laboratorium (Hospitalstraße 10) eine Gedenktafel für die russische Chemikerin Julia Lermontowa enthüllt. Bei dieser Gedenktafelenthüllung, die in Göttingen eine gute und lange Tradition hat, wurde Lermontowa -- die erste Frau, die den Doktortitel in der Chemie erwarb -- durch eine von Elena Roussanova gehaltene Laudatio gewürdigt. Diese Ehrung ist ohne Zweifel ein wichtiges Ereignis für die Chemiegeschichte. Im Jahre 2003 wurde Elena Roussanova Mitglied der Gesellschaft der Deutscher Chemiker.

Dirk Siebers nahm am Internationalen Frontinus-Symposium teil mit dem Thema ,,Wasserversorgung aus Qanaten -- Qanate als Vorbilder im Tunnelbau'', 02.--05.10.2003 in Walferdange, Luxemburg, ausgerichtet von der Frontinus-Gesellschaft e.V., 53058 Bonn.

Unser neuer Doktorand Wolfgang Steinicke ist aktiv im VdS-Vorstand (Schriftführer, Pressereferent, VdS-Journal-Redaktion), ist Leiter der VdS-Fachgruppen ,,Geschichte der Astronomie'' und ,,Visuelle Deep-Sky Beobachtung'' und stellvertretender Vorsitzender der Sternfreunde Breisgau; ferner ist er Mitglied des Arbeitskreises Astronomiegeschichte in der AG, der Webb Society Cambridge (Committee member, Director Nebulae & Clusters Section), der Royal Astronomical Society (FRAS) und im NGC/IC-Project (core team member).

Torsten Rüting: {it Jakob von Uexkülls Umweltforschung -- Interdisziplinäre, beziehungs- und bedeutungsorientierte Lebenswissenschaft an der Universität Hamburg -- Projekt: Zusammenführung und Erschließung des Nachlasses des Instituts für Umweltforschung und des Teilnachlasses von Jakob von Uexküll -- Aufbau des Jakob von Uexküll-Archivs für Umweltforschung und Biosemiotik in Kooperation mit dem Tartuer Jakob von Uexküll-Centre: Die Nachlässe umfassen ca. 850 Monographien und Zeitschriftenbände, 4600 Separata, Urkunden, Fotografien, Zeichnungen und andere Dokumente, überwiegend zur Geschichte der Biologie, Medizin, Psychologie, Anthropologie und Philosophie zwischen 1860 und 1960. Die Überführung der Materialien aus der Bibliothek des Zoologischen Instituts ist abgeschlossen. Aus den zusammengeführten Nachlässen, für die es ein steigendes internationales Interesse gibt, (siehe Bericht zum Internationalen Symposium) ist das Jakob von Uexküll Archiv für Umweltforschung und Biosemiotik entstanden. Im Oktober wurden Materialien aus der Stazione Zoologica in Neapel, an der Uexküll und seine Mitarbeiter tätig waren kopiert und im Einvernehmen mit der Leiterin des Archivs, Dr. Christiane Groeben, als externe Materialien des Archivs der Stazione im Uexküll Archiv zugänglich gemacht. Zusätzlich konnten weitere Materialien zur Geschichte Uexkülls, des Instituts für Umweltforschung, der Umweltlehre und der Biosemiotik gesammelt werden. Seit der Eröffnung wurde das Archiv bereits von neun Forschern besucht und erhielt zahlreiche Nachfragen. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Instituts für Umweltforschung steuerte Fotografien und Erinnerungen bei. Forschungsvorhaben: {it Jakob von Uexkülls Umweltforschung im Diskurs um einen Paradigmenwechsel in den Lebenswissenschaften -- Lokale, nationale und internationale Kontexte und Entwicklungen Folgende Forschungsfelder sollen bearbeitet werden:

  1. Naturwissenschaftliche Grundlagen der Genese und Rezeption der Umweltforschung: Bisher sind die grundlegenden physiologischen Experimente Uexkülls und die Forschung an seinem Hamburger Institut nicht untersucht und beschrieben worden. Das führte u.a. dazu, dass die Umweltforschung als vitalistische bzw. holistische Metaphysik abgehandelt wird. Die Materialien des Archivs, bilden die Grundlage zu einer genaueren Darstellung auch des Kontextes der naturwissenschaftlichen Genese der Umweltlehre, ihrer fachlichen Rezeption und Diskussion.
  2. Institutionalisierung der Umweltforschung im Kontext der Wissenschaftspolitik in Hamburg und der politischen Umbrüche in Deutschland: Eine Untersuchung der Institutionsgeschichte und die Erforschung der wissenschaftspolitischen und politischen Hintergründe kann auf die im Staatsarchiv der Hansestadt vorhandenen Institutsakten sowie die Personalakten Uexkülls, seiner Mitarbeiter und anderer Beteiligter zurückgreifen. Weiterer Archivmaterialien und Nachlässe (Bundesarchiv, zoologische medizinische und psychologische Institutionen in Hamburg, Kiel, Heidelberg usw.) sollen hinzugezogen werden.
  3. Entwicklung und Wirkung der Umweltforschung von der Nachkriegszeit bis heute: Untersuchung der Verbreitung und Rezeption der Uexküllschen Ideen nach dem Kriege. Zu untersuchende Verbreitungswege und Multiplikatoren sind:
    1. das Institut für Umweltforschung und seine Mitarbeiter.
    2. emigrierte Wissenschaftler wie z.B. Ernst Cassirer, Heinz Werner und William Stern
    3. internationale Freunde und Bewunderer Uexkülls.
    4. die russisch-estnische Semiotikerschule und theoretische Biologen in Estland
    Die Rezeption Uexkülls in Rußland und Estland wird in Kooperation mit russischen und estnischen Kollegen untersucht.
Das Jakob von Uexküll-Archiv ist inzwischen Teil der internationalen biosemiotischen Forschungsgemeinschaft. Die Veröffentlichung der Beiträge des Uexküll-Symposiums (siehe Bericht) werden darum nicht nur bei ,,Hamburg University Press'' sondern auch in der Zeitschrift ,,Sign System Studies'' veröffentlicht. Torsten Rüting besuchte die Gatherings in Biosemiotics 2002 in Tartu und 2003 in Kopenhagen und berichtete dort über das Archiv und seine Forschungsergebnisse zur Geschichte und naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung des Instituts für Umweltforschung. Er wurde ins International Board des Jakob von Uexküll-Centres in Tartu gewählt. Es ist geplant, zusammen mit dem Center, dem Department für Semiotik und anderen Zentren biosemiotischer Forschung in Prag eine Summerschool durchzuführen und eine gemeinsame internationale Forschungsförderung zu organisieren.

Bernd Wolfram bearbeitet aus dem Nachlaß von C. F. Gauß die Korrespondenzen von John W. F. Herschel, G. B. Airy, E. Sabine, W. Sartorius von Waltershausen, J. B. Listing, H. C. Oersted und W. Weber. Die Hauptthemen dieser Briefwechsel sind die Probleme des Erdmagnetismus und die zeitweise weltweiten Aktivitäten des Göttinger Magnetischen Vereins. Die insgesamt 41 Briefe der englischen Korrespondenten Herschel, Airy und Sabine sind bereits transkribiert und kommentiert, vgl. in: Mitteilungen der Gauss-Gesellschaft Nr. 39 (2002). Sie behandeln die entscheidenden Beiträge der englischen Wissenschaftler an der weltweiten meßtechnischen Erfassung des erdmagnetischen Feldes. Sartorius und Listing liefern von einer gemeinsamen Italienreise ebenfalls erdmagnetischen Messungen. Hauptzweck ihrer Reise ist allerdings die erstmalig geologische Erforschung des Vulkans Ätna. Die 13 Briefe von Sartorius und die 5 Briefe von Listing sind ebenso wie die jeweils 2 Gegenbriefe von Gauß transkribiert. Ihre Kommentierung wird in Kürze beendet werden. Von Oersted sind alle 13 Briefe und die 3 Gegenbriefe von Gauß transkribiert. Von Weber sind 44 Briefe und 36 Gegenbriefe von Gauß durch die freundlichen Mithilfe von Prof. Dr. M. Folkerts, München, transkribiert. Sie zeugen von der intensiven und freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Forschern. Dieser Briefwechsel wird in Kürze sowohl historisch als auch fachlich kommentiert werden. Der Briefwechsel zwischen Weber und Gauß liefert interessante Einblicke in das Verhältnis zwischen den beiden Wissenschaftlern während der Ereignisse um die Göttinger Sieben, welche zum Ende der unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen Gauß und Weber führte.

Bericht von Peter Ullrich (Uni Siegen): Artin-Nachlaß

Der am SPGN aufbewahrte wissenschaftliche Nachlaß von Emil Artin (1898-1962) ist im letzten November ergänzt worden; nach dem Tode seiner Mutter hat Herr Michael Artin (MIT) uns aus deren Besitz stammende Papiere seines Vaters zukommen lassen; wir bedanken uns ganz herzlich dafür. Bei diesen Materialien, die circa 1000 Seiten umfassen, handelt es sich um vollständige Manuskripte, Vorstudien auf Notizzetteln und Kopien von weiteren Lebensdokumenten. Herr Peter Ullrich hat bereits begonnen, diese Unterlagen zu erschließen; ein Inhaltsverzeichnis wird im nächsten Band der Mitteilungen der Mathematischen Gesellschaft in Hamburg als Nachtrag zu Bd. 19 (2000), S. 113-134 erscheinen.

Katrin Cura: Bericht über einen Uexküll-Gastvortrag vor Abiturienten

Einen Monat nach dem erfolgreichen Symposium, am 9. Februar 2004, hielt Herr Dr. Torsten Rüting vor dem Biologieleistungskurs des Wirtschaftsgymnasiums Weidenstieg einen Vortrag. Das Thema hieß natürlich: ,,Jakob von Uexküll (1864-1944)'' und erläuterte das Leben und das Werk des Wissenschaftlers. Dr. Rüting gelang es mit Hilfe der PowerPoint-Präsentation und seiner klaren Art, die Aufmerksamkeit der Schüler zu wecken. Für sie war es interessant, dass sie im Unterricht nicht nur Schulbuchwissen lernen, sondern auch Einblicke in den aktuellen Stand der Forschung bekommen. Besonders honoriert haben sie die Mühe, die sich Dr. Rüting mit dem Vortrag gemacht hat, um einen anschaulichen Einblick in sein Forschungsgebiet zu geben. Der einzige Kritikpunkt war, dass sie gern mehr Informationen über Uexkülls Funktionskreis gehabt hätten. Daraus entstand der Wunsch zweier Schülerinnen, ein Referat über das Thema zu halten. Dieses zeigt, wie eine Koorperation zwischen Universität und Schule aussehen kann.

Katrin Cura: Schüler besuchen das Forschungsschiff Gauß

Frau PD Dr. Cornelia Lüdecke ermöglichte über persönliche Kontakte einen Schulbesuch auf dem Forschungsschiff ,,Gauß''. Der Biologie-Grund- und Leistungskurs des Wirtschaftsgymnasiums Weidenstieg nahm am 21. Januar diese seltene Möglichkeit wahr. Kapitän Walde führte die Besucher über eine Stunde durch sein Schiff und beantwortete viele Fragen. Die Schüler waren begeistert, einen Einblick in die praktische Forschung in Deutschland zu bekommen. Vom Forscherfieber gepackt, konnten sie mit den schuleigenen Untersuchungskästen gleich vor Ort das Elbwasser auf Schwermetalle untersuchen. Am Ende dankten die Schüler Kapitän Walde für seine eindrucksvolle Führung und überreichten ihm eine neue Tatstatur und Maus für den Gemeinschaftscomputer, die während der letzten Fahrten beschädigt wurden.

Torsten Rüting: ,,Signs and the Design of Life - Uexküll's Significance Today''
(Zeichen und der Bauplan des Lebens - Uexkülls Bedeutung heute)

Internationales Symposium in Hamburg, 9. bis 11. Januar 2004
Anlässlich der feierlichen Eröffnung des Jakob von Uexküll-Archivs für Umweltforschung und Biosemiotik im 140. Geburtsjahr von Jakob von Uexküll (1864-1944) organisierte unser Schwerpunkt in Kooperation mit dem Jakob von Uexküll-Centre in Tartu (Estland) ein internationales Symposium, das vom 9. bis 11. Januar im Geomatikum in Hamburg stattfand.

Zum Auftakt und zum Abschluss des Symposiums zeigte die Regisseurin Maximiliane Mainka im Abaton-Kino ihren Film ,,Unbemerkte Wirklichkeit'' (1992), der das Leben und Werk Uexkülls in eindringlicher Weise auch einem breiteren Publikum nahebrachte. Die Regisseurin war angereist, um an dem Symposium teilzunehmen und stellte sich nach den Filmvorführungen den Fragen des Publikums, wobei es zu angeregen Diskussionen kam. ca. 170 Gäste und Teilnehmer des Symposiums wurden im Hörsaal 1 des Geomatikums von Torsten Rüting empfangen und begrüßt. Dieser übergab das Wort an Universitätspräsident Dr. Jürgen Lüthje, der seine Grußworte zunächst an die Familie Uexküll richtete. Er dankte der Familie für die Überlassung der wissenschaftlichen Bibliothek Jakob von Uexkülls. Dem Enkel, Jakob von Uexküll jr., dankte er für dessen spontane Bereitschaft, einen Vortrag über die Bedeutung der Ideen seines Großvaters für die Right Livelihood zu halten. Der Präsident begrüßte dann die anderen Anwesenden und die Teilnehmer aus den Universitäten Tartu, Taipeh, Prag, Kopenhagen, Paris, Berlin und Marburg, die kurzfristig gekommen waren, um die Bedeutung Uexkülls für ihre Wissenschaft darzustellen. Das Archiv sei ein lebendiges Zeichen für die Partnerschaft der Universitäten; besonders die Kooperation zwischen Hamburg und Tartu. Wegweisend für die Weiterentwicklung des Erbes Uexkülls sei die Initiative des Biologen und Semiotikers Prof. Kalevi Kull von der Universität Tartu gewesen, der 1993 das Jakob von Uexküll-Centre in Tartu gründete. Lüthje würdigte die Bedeutung, die Jakob von Uexküll und sein Institut für Umweltforschung für die junge Universität Hamburg hatten. Die heutige internationale Bedeutung Uexkülls sehe er durch die Besucher des Symposiums dokumentiert, und auch dadurch bestätigt, dass Prof. Umberto Maturana, den er kürzlich zu einem Vortrag eingeladen hatte, erklärte, Uexküll sei für ihn eine der wichtigsten Inspirationen gewesen. Maturana, einer der Begründer des Konstuktivismus hätte bedauert, dass er nicht an dem Symposium teilnehmen könne. Das Archiv sei auch ein gutes Zeichen für die Kooperation der Fachbereiche. Lüthje dankte den Verantwortlichen vom Zoologischen Institut und Museum (ZIM), vor allem Prof. Olav Giere, die die Zusammen- und Überführung der Archivmaterialien unterstützt haben, sowie den Bibliothekarinnen des ZIM, insbesondere Frau Krüger, welche die Ermittlung und Deinventarisierung der in der ZIM-Institutsbibliothek eingeordneten Bücher zügig zu Ende geführt haben. Lüthjes Dank galt ferner dem Fachbereich Mathematik, besonders Prof. Karin Reich vom SPGN und dem Dekan Prof. Dr. Alexander Kreuzer, die sofort bereit waren, das Archiv in ihre Räume aufzunehmen und die Einrichtung zu unterstützen. Vizepäsident Prof. Holger Fischer, der deutlich machte, dass schon die gleichzeitige Anwesenheit von Präsident und Vizepräsident die Bedeutung der Veranstaltung unterstreiche, begrüßte dann die Anwesenden und Gäste wobei er für die fünf Wissenschaftler von der Karls Universität und die Gäste von der Universität Tartu längere Reden in den Landessprachen vorbereitet hatte, was von den Angeredeten begeistert aufgenommen wurde. Der Hausherr Prof. Alexander Kreuzer, Dekan des Fachbereichs Mathematik, würdigte in seinen Grußworten die Kooperation der Fachbereiche, die Initiative des SPGN und mein Engagement. Der Vizepräsident der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Prof. Jörn Henning Wolf, Direktor des Kieler Instituts für Medizingeschichte, betonte in seiner Begrüßungsrede, dass Jakob von Uexkülls Werk von außerordentlicher Bedeutung sowohl für die Jungius-Gesellschaft als auch für die Wissenschaftsgeschichte sei. Die Etablierung des Uexküll-Archivs in Hamburg sei auch für die in naher Zukunft aus der Jungius Gesellschft entstehende Norddeutsche Akademie von Interesse. Wolf, verlas dann ein Grußwort des Präsidenten der Gesellschaft, Prof. Kurt Pawlik, in dem dieser Uexküll als einen der Begründer ,,einer auf Synergien und Wechselwirkungen gerichteten modernen Umweltforschung'' bezeichnete, dessen Arbeiten auch für sein eigenes Fachgebiet innovativ gewesen seien. So sei u.a. die Einrichtung des DFG Schwerpunktprogramms ,,Psychologische Ökologie'' mit Uexkülls ,,wegweisenden'' Arbeiten begründet worden. Pawlik äußerte, dass die Jungius-Gesellschaft nach ihren Möglichkeiten darauf hinwirken wolle, ,,dass dieser Schatz der Theoretischen Biologie und Biosemiotik auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anderer Fächer eine wichtige Forschungsquelle werden kann.'' Da der 95jährige Prof. Thure von Uexküll aus gesundheitlichen Gründen die Reise nach Hamburg nicht antreten konnte, verlas ich, Jakob von Uexküll's Umwelt-Theorie miterlebt. In diesem eigens für das Symposium geschriebenen Vortrag beschreibt Thure von Uexküll, wie sein Vater ihn als Kind lehrte, anhand der Umweltlehre die Geheimnisse der Natur zu erfassen. In einfacher Weise legte er dann die Beziehung von Umweltlehre und Semiotik dar. Semiotik, Konstruktivismus und Systemtheorie seien von Uexkülls Erkenntnistheorie angedacht und inspiriert worden. Die heutige Medizin müsse diese erkenntnistheoretischen Einsichten berücksichtigen, um den Kranken in seiner ,,Wirklichkeit'' wahrnehmen und mit ihm kommunizieren zu können, heutige Rationalisierungsmaßnahmen würde diese Humanisierung der Medizin aber gefährden. Die Festvorträge begannen mit Jakob von Uexküll jr., der den World-Future Council und damit auch die Vergabe des von ihm gestifteten Right-Livelihood Award, den sog. ,,Alternativen Nobelpreis'', in Hamburg institutionalisieren möchte. Er hatte sich spontan entschieden, aus London anzureisen und einen Vortrag über Jakob von Uexküll and Right Livelihood - The Current Actuality of his Weltanschauung zu halten. Darin erinnerte er an die durch die Globalisierung verschärfte katastrophale Entwicklung der ökologischen und politischen Verhältnisse auf der Erde. Die ökologischen Schulden, mit der wir alle zukünftigen Generationen belasten, machte er für die Tagungsteilnehmer besonders deutlich, indem er erzählte, dass Thomas A. Sebeok, einer der Gründer der Biosemiotik, der von US Behörden beauftragt war, ein Zeichen zu entwerfen, das Atommülldeponien für zigtausende von Jahren als gefährlich für Menschen kennzeichnen sollte, resigniert hätte. Da es kein Zeichen gäbe, das in verschiedenen menschlichen Kulturen und Epochen eindeutig übermittelt worden sei, hätte Sebeok vorgeschlagen, eine moderne Priesterschaft zu gründen, die eine ,,folklore'' der Atommüll-Warnzeichen überliefern müsse. (s.a.: Eco, Umberto: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. München 1994). Der Enkel Uexkülls bekannte, dass ein Verständnis für die Weltanschauung seines Großvaters ihm nicht leicht gefallen sei. Er habe aber deren Bedeutung für den Kampf um eine ökologisch und politisch sinnvoller gestaltete Welt entdeckt und betonte, dass schon sein Großvater sich mit den Folgen einer durch den Darwinismus legitimierten Ausbeutung von Natur und Menschen auseinandergesetzt hätte; Uexkülls Ideen seien als Gegenentwurf zu einer in der modernen Lebenswissenschaften herrschenden Haltung der Verantwortungslosigkeit gegenüber der Eigenwertigkeit von Natur und Mensch entstanden, so auch zu verstehen und für die Wahrnehmung und Veränderung unserer Wirklichkeit zu nutzen. Torsten Rüting vom SPGN machte seinen Vorredner und das Publikum darauf aufmerksam, dass Darwins {sc The Descent of Man, mit den polemischen Randbemerkungen Uexkülls in einer Ausstellung des Archivs nach dem Vortrag zu besichtigen sei und dass Uexkülls Darwinismuskritik mit der moderner Wissenschaftshistoriker vergleichbar sei. Er gab dann in seinem Vortrag eine kurze Einführung in die Ideen Jakob von Uexkülls und die Geschichte des Instituts für Umwelforschung an der Universität Hamburg. Mit der Gründung des Instituts am Aquarium im alten zoologischen Garten der Hansestadt hatte Uexküll seine erste eigene Forschungsstätte leiten und seine Ideen in größerem Maßstab vermitteln und umsetzen können. Durch seine Persönlichkeit und seine interdiszipläre Denk- und Arbeitsweise gelang es ihm, trotz widriger finanzieller Verhältnisse, kreative Wissenschaftler zu begeistern und die junge Hamburger Universität zu bereichern. Seine Kontakte, u.a. mit Ernst Cassirer, Heinz Werner und Adolf Meyer-Abich wirkten nachaltig auf die Geschichte der Natur- und der Geisteswissenschaften sowie für die geistige Kultur sowohl in Hamburg als auch international. Prof. Kalevi Kull von der Universität Tartu, der dort sowohl am biologischen als auch im semiotischen Fachbereich unterrichtet und in zahlreichen Veröffentlichungen (http://www.zbi.ee/~kalevi) die Bedeutung Uexkülls für die Entwicklung der Biosemiotik dargestellt hat, stellte dem Publikum dar, wie bei der Beschäftigung mit Uexkülls Schriften das Verständnis des Lebens als Zeichenprozeß deutlich wird. In Tartu sei durch die semiotische Schule Yuri Lotmanns (1922-1993) ein intellektuelles Klima entstanden, das internationale interdisziplinäre Ideen förderte und zusammenbrachte. Gleichzeitig habe die theoretische Biologe eine starke Tradition gehabt und Uexküll genauso wie Karl Ernst von Baer als theoretische Biologen Estlands besonders bedacht. Durch den 2001 verstorbenen Thomas A. Sebeok, von der Bloomington University, der Tartu 1970 besuchte, sei Uexkülls Werk in Semiotikerkreisen international als ,,Cryptosemiotics'' bekannt geworden, wodurch vielen die originäre Einheit von biologischer und semiologischer Erkenntnistheorie bewußt wurde. Der Molekularbiologe Prof. Jesper Hoffmeyer von der Universität Kopenhagen illustrierte seinen Beitrag From Umwelt to Semiosphere anhand des Beispiels eines sog. siamesischen Zwillings eines Salamanders, dessen Köpfe sinnloserweise um Futter konkurrieren, das in demselben Magen landet. Beide Köpfe mit ihren Sinnesorganen würden Uexküll gemäß ihre Sinneswelt hinausverlegen. Bildungen zur Wahrnehmung eines gemeinsamen ,,holistischen'' Merkzeichens das die Koordination der Köpfe leitet seien in der Evolution nicht erfolgt. Die Köpfe konstruieren verschiedene Umwelten und das Futter wird lediglich als Teil der Semiosphere (Gesamtheit aller Zeichen der Umgebung) nicht als Teil einer gemeinsamen Umwelt interpretiert.
Nach dem Vortragsprogramm wurde im Geologisch-Paläontologischen Museum gefeiert. Frau Bratke, Frau Reinke und fleißige HelferInnen bewirteten die Gäste. Es war Zeit für interdisziplinäre und interkulturelle Gespräche (Fotos auf der Homepage, Dank an Frau Reinke) Auch der Uni-Präsident blieb bis zum Ende, um dann mit Jakob von Uexküll und Claus Grossner in einem Weinlokal weiter zu diskutieren.
Am Samstagmorgen erwartete die Teilnehmer des Symposiums ein dicht gedrängtes Programm von neun Vorträgen: John Deely, von der University of St. Thomas in Houston gab in seinem Beitrag Semiosis and Jakob von Uexküll's Concept of Umwelt einen persönlichen Einblick in die von Uexkülls Erbe beeinflußte Entwicklung der theoretischen Semiotik in den USA.
Unter dem Titel Jakob von Uexküll Revisited: Semiotician or Hermeneutician bezeichnete Prof. Han-liang Chang von der National Taiwan University Uexküll als ,,phänomenologischen Hermeneutiker'' und stellte ihn in eine Traditionsline mit Husserl, Heidegger und Gadamer. Uexkülls Buch ,,Die ewige Frage - Biologische Variationen über einen platonischen Dialog'' rechtfertige die Einordnung in eine textorientierte philosophische Tradition. Prof. Anton Markos, Wissenschaftshistoriker und theoretischer Biologe an der Karls Universität in Prag, nutzte als Hintergrund für seine Präsentation ``In the quest for novelty: Kaufmann's biosphere and Lotmann's semiosphere'' Uexküll's Modelltier - die Zecke. Es gelang ihm dem Publikum das Anliegen und die Aktualität semiotischer Erkenntnistheorie darzulegen, die die Biologie um hermeneutische Zusammenhänge erweitert und damit, Bedeutung im Sinne Uexkülls zu einem zentralen Thema der biologischen Suche nach Erkenntnis macht. Juipi Angelina Chien, ebenfalls von der Taiwan National University, setzte sich in ihrem Beitrag ``The Changing Shape of Schema: Reflections on the Uexküllian Crux'' mit der zunächst widersprüchlich erscheinenden Bedeutung von Form oder Gestalt und Bauplan bei Uexküll auseinander. Hierfür sei der Begriff Schema für Uexküll zentral, er kennzeichne die gestaltenden Prozesse des Wahrnehmungsapparates. Gestaltwahrnehmung werde damit mit dem Bauplan in Zusammenhang gestellt.
Prof. Peter Klein vom Institut für die Didaktik der Naturwisssenschaften der Universität Hamburg zeigte, das Uexkülls Erklärung des Verhältnisses Organismus - Umwelt wichtige Erkenntnisse in Bezug auf die Frage ``If the Brain was a Digital Compute, what would be its Program?'' liefern kann. Er kam zu dem Schluß, das Gehirn könne als Computer bezeichnet werden, der Geist oder die Gedanken aber nicht als dessen Programm - sie gehörten zur ,,Innenwelt'' des Organismus.
Dr. Tobias Cheung von der Universität Paris ging es in seinem Vortrag From Protoplasm to Perception: Jakob von Uexküll and the Unity of Organismic Order um die zentrale Bedeutung und Aktualität des Protoplamaproblems, das Uexküll bereits 1909 in seiner Umwelt und Innenwelt der Tiere darlegte. Prof. Mathias Gutmann, Juniorprofessor für Philosophie an der Universität Marburg, erforschte die Bedeutung Uexkülls in der modernen Biologie. Dabei ging er von seiner eigenen Beschäftigung mit Uexküll in der Arbeitsgruppe Kritische Evolutionstheorie am Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt aus. Uexkülls Arbeiten hätten dort wichtige Anregungen gegeben, neue ganzheitlichere Modelle von Vorgängen in der Evolution zu entwickeln.
Riin Magnus vom Semiotischen Institut der Universität Tartu und Vorsitzende des Rates des dortigen Uexküll-Centres berichtete über The First 10 Years of the Jakob von Uexküll Centre. Dabei war bemerkenswert, wie enge Beziehungen zwischen Naturschutzinitiativen Semiotikern und theoretischen Biologen zur Gründung und Arbeit des Centres beitrugen.
Zuletzt legte Dr. Andreas Weber von der Humboldt-Universität Berlin unter dem Titel Mimesis and Metaphor. The Biosemiotic Generation of Meaning in Cassirer and Uexküll dar, dass über die Cassirers Rezeption Uexkülls, eine tiefe Verknüpfung zwischen Cassirers Konzept der symbolischen Formen und dem biosemiotischen Ansatz begründet sei. Dieserart Verbindung einer Symbol-Theorie der Kultur und einer semiotischen Theorie der menschlichen Natur sei notwendig, um endlich eine einheitliche Kognitionstheorie zu etablieren, die das Leib-Seele Problem überwindet.
Nachdem viele Teilnehmer die zweite Vorstellung von Unbemerkte Wirklichkeit angeschaut und sich an der Diskussion mit Maximiliane Mainka im Kino beteiligt hatten, traf man sich im Arkadasch zu einer gemütlicheren Runde.
Am Sonntagmorgen fanden sich trotz Wind und Regen 10 Teilnehmer für den Spaziergang durch die Umwelten von Jakob von Uexküll ein. Wir besuchten, außer den Universitätsgebäuden und dem ehemaligen Gebäude des Instituts für Umweltforschung in der Gurlittstraße, Orte des Gedenkens an das jüdische Leben am Grindel. Am Nachmittag öffnete das Geomatikum für drei Stunden die Türen, um den weitgereisten Uexküll-Forschern und anderen Besuchern die Möglichkeit zu geben das Archiv zu besichtigen und zu arbeiten. Viele nutzten diese Gelegenheit auch dazu, Gespräche zu führen und Kontakte zu knüpfen. Raum und Zeit wieder einmal die begrenzenden Faktoren waren. Das Symposium endete aber damit erst am Sonntagabend. Dr. Tobias Cheung aus Paris blieb noch zwei weitere Tage mein Gast, um seinen Hamburgaufenthalt für Archivarbeit auszunutzen. Die Beiträge der Tagung werden in einem Gemeinschaftsprojekt in der Zeitschrift Sign System Studies in Tartu gedruckt und bei Hamburg University Press online publiziert. Weitere Infos: http://www.math.uni-hamburg.de/home/rueting/Projekte.htm An dieser Stelle möchte ich noch einmal der Carl Christiansen Stiftung, dem Fachbereich Mathematik, der Blaschke-Stiftung und der Schimank-Stiftung, die mit ihrer Unterstützung diese Feier und das Symposium möglich machten, danken. Dank auch an die Abteilung für Internationale Hochschulbeziehungen und den DAAD, die die Unterkunft für die Vortragenden aus den Partneruniversitäten finanzierten.

Prof. Dr. Willi Schmidt (Lübeck): Erinnerungen an das Studium bei Hans Schimank

Ich weiß es bis heute nicht, welchem gütigen Schicksal ich es zu verdanken habe, dass ich zu den rund 500 Studienanfängern - bei mehr als 10.000 Bewerbern - gehörte, die im November 1945 ihr Studium an der Hamburger Universität aufnehmen durften. Vergegenwärtigen Sir sich bitte, dass ich als 20jähriger zum Arbeitsdienst eingezogen wurde, ich im 30. Lebensjahr stand, als ich die Zulassung zum Universitätsstudium erhielt. Neun für mich vertane Jahre lagen dazwischen. Sie werden den geistigen Heißhunger verstehen, mit dem ich die Universität bezog, obwohl damals in der Nachkriegszeit ein Studium mit allen Ungewissheiten und Unwägbarkeiten für die Zukunft verbunden war. Der größte Teil der Gebäude war zerstört oder schwer beschädigt. Einigermaßen intakt war das Vorlesungsgebäude am Bornplatz, dem heutigen Allende-Platz, und die naturwissenschaftlichen Institute an der Jungius-Straße. Und es gab weder Vorlesungsverzeichnisse, noch Veranstaltungen zur Einführung in das Studium, wie sie heute üblich sind. Hinweise auf die Lehrveranstaltungen gaben die kärglichen Vorlesungsankündigungen der Professoren an den Anschlagtafeln in den Eingängen der erhaltenen Gebäude. Ich muss die Hilfsbereitschaft loben, mit der uns verwirrten Studienanfänger ältere Semester, die schon während des Krieges studieren durften, darunter, begreiflich, viele Frauen, halfen, uns halbwegs zurechtzufinden. Und loben muss ich auch die für uns Anfänger zur Pflicht gemachten ,,Beratungsgespräche'' durch jüngere Professoren. Ich landete bei dem jungen Mathematikprofessor Zassenhaus, dem ich, auf die Frage, was ich studieren wolle, gleich eine ganze Palette von Fächern nannte: Erdwissenschaften natürlich, dazu Physik, Chemie, Mathematik, Geschichte, Literaturwissenschaften und, wenn es ging, ein wenig Jura oder Wirtschaftswissenschaften. Bis auf die Theologie war eigentlich alles in meinen Studienwünschen enthalten. Zassenhaus schmunzelte, aber er nickte verständnisvoll mit dem Kopf. Wir einigten uns auf Geographie, Geologie, Physik, Chemie und Mathematik für Anfänger. Das wäre genug für die üblichen 18 bis 20 maximal 24 Wochenstunden, die zu belegen waren. Wenn ich darüber hinaus Lust hätte, könne ich quer durch alle Fakultäten hören. Damals war des noch möglich, denn es gab keine festen Studienordnungen. Meldete man sich zu einer selbst gewählten Prüfung, reichte man sein Studienbuch ein, in dem die belegten Vorlesungen, Übungen, Seminare und Praktika mit An- und Abtestat der Herren Professoren verzeichnet waren. Reichte es, wurde man zugelassen. Scheine wie heute gab es nicht.

Es ist nötig sich zu vergegenwärtigen, dass es damals längst nicht in allen Fächern Staatsexamen gab. Was überwog, waren reine Universitätsprüfungen. Für die spätere berufliche Laufbahn als ,,Akademiker'' war das mehr oder weniger gut bestandene Universitätsexamen der Einstieg. Während meiner Studienzeit gab es erst wemige Diplom-Abschlüsse. Die Flut der ,,Diplomierten'' und der ,,Magister'' setzte erst etwa ein Jahrzehnt nach Beginn meines Studiums ein. Es sei vermerkt - Herr Mauel wird es bestätigen -, dass es bis in die dreißiger Jahre nur den Diplom-Ingenieur gab, der schon vor dem Ersten Weltkrieg eingeführt wurde, um den ungeschützten Titel Ingenieur zu einer geschützten Standesbezeichnung zu machen.

Aber bleiben wir beim Studium. Nachdem ich die wichtigsten Grundvorlesungen in mein Studienbuch eingetragen hatte, sah ich mich nach weiteren interessanten Studienangeboten um. Und da entdeckte ich im Physikalischen Staatsinstitut den Anschlag eines Professor Schimank, der eine zweisemestrige Vorlesung: ,,Geschichte der Elektrizitätslehre'' und eine Vorbesprechung für seine Übungen und Seminare anbot.

Ich muss hier bemerken, dass Prof. Schimank mir ein Begriff war, denn als 16jähriger Schüler hörte ich im Allgemeinen Vorlesungswesen der damaligen Technischen Staatslehranstalten, der späteren Ingenieur-, dann Fachhochschule, einen mich faszinierenden Vortrag über ,,Leonardo da Vinci als Techniker''. Klar, dass ich zu seiner Vorbesprechung ging. Es waren vielleicht ein Dutzend Studenten gekommen. Außer mir waren nur drei bereit, bei Schimank zu hören und seine Übungen in seiner Privatwohnung zu besuchen. Ich sehe es noch vor mir, als sei es gestern gewesen, wie wir vier Hörer dann am schäbigen Tisch im halbdunklen Keller des Physikalische Instituts saßen und aufmerksam das vorgetragene profunde Wissen Professor Schimanks in uns einsogen. Licht gab während des häufigen Stromausfalls ein Kerzenstummel. Weil es kalt war, saßen wir da in unseren dunkelblau gefärbten Militärmänteln. Der Herr Professor hatte einen dicken Wollschal um Hals und Schultern geschlungen. In den Hörsälen sah es nicht besser aus. Studium in den ersten Nachkriegssemestern!

Da die Übungen zur Wissenschaftsgeschichte bei Professor Schimank zu Hause in seiner bewundernswert reichen Bibliothek stattfanden, war es dort ein wenig erträglicher. Aber der mit in Papier gewickelten Briketts gefütterte Kanonenofen gab nur wenig Wärme. Aber über diese wissenschaftsgeschichtlichen Kolloquien habe ich früher anläßlich einer Gedenkveranstaltung für meinen verehrten Lehrer schon berichtet.

Es mangelte an allem. Wir froren und hungerten gemeinsam mit unseren Professoren. Es gab kaum Lehrbücher oder Schreibpapier. Als Kollegmappe diente mein Militärrucksack oder ich schnallte die wenigen Bücher und Hefte mit einem Gürtel zusammen. Und wir hatten nur wenig Geld, für das man sich bis zur Währungsreform im Juni 1948 ohnehin nicht viel kaufen konnte. Noch schlimmer wurde es für uns Studenten nach der Währungsreform. Wir mussten uns einen Gelegenheitsjob suchen, Studentenwerk, Frau Steffens, oft nur stundenweise. Zumindest das karge Leben für uns blieb, auch wenn es jetzt wie ein Zauber alles wieder gab.

Es ist für mich heute noch ein Phänomen, dass diese Zeit, so armselig sie äußerlich für uns war, für mich die reichste Zeit meines Lebens war: Überreich an geistiger Kost, die ich solange entbehrt hatte, und reich auch an Freundschaften, an Hilfsbereitschaft aller Art, an guten Gesprächen und selbst an unbeschwerter Heiterkeit. Eine Selleriebowle, angesetzt in der Badewanne mit einigen geretteten Flaschen Weißwein, war Höhepunkt eines der ausgelassenen Semesterfeste in der Schimankschen Wohnung, wo Studenten und Professoren mit ihren Freundinnen und Frauen die ganze Nacht hindurch feierten. Und diese erste Nachkriegszeit war auch außerhalb des Studiums für uns eine überaus reiche Zeit. Nie wieder haben mir die Konzerte, etwa des genialen Hans Schmidt-Isserstedt - für Studenten gab es extra Abonnements - so viel gegeben wie damals, denn wir waren ausgehungert nach Kultur jeder Art. Ich vergesse nie die großartigen Aufführungen in Ida Ehres Kammerspielen, zumal sich aus Berlin vertriebenen Schaupieler und Regisseure großenteils in Hamburg niederließen. So denke ich heute beispielsweise fast mit Wehmut an eine Aufführung der Brechtschen ,,Dreigroschenoper'' in einer provisorisch mit Bänken vollgestellten kalten Sparkassenhalle in Altona, wo Inhalt des Schauspiels, agierende Schauspieler und Publikum absolut adäquat waren. Als ich Jahre später im neu hergerichteten Schauspielhaus, im feudalen Polstergestühl sitzend, der Erstauffführung der Brechtschen ,,Heiligen Johanna der Schlachthöfe'' beiwohnte, inmitten gepflegt gekleidetem Premierenpublikum, das Stück dargeboten von nun rundlich gewordenen Schauspielern, wurde mir der ganze Gegensatz von Wohlstand und Armut, wenn auch hier nur auf der Bühne dargestellt, bewußt. Ein Gegensatz, der ja auch heute noch die Wirklichkeit unseres Lebens bestimmt.

Aber lassen Sie mich weiter berichten. Es war verständlich, dass wir Hörer in den bei Professor Schimank für die in jedem Semester zu haltenden Referate Themen wählten, die unseren Studienschwerpunkten entsprachen. Mein erstes Referat hielt ich über die Geschichte der Kartographie. Spätere behandelten die Reisen des arabischen Geographen Ibn Bad{td{t=ud{t=a (1304-1369), ein Stoff, der mir bewusst machte, was vielen auch heute noch unbekannt ist: dass Afrika, Südost- und Ostasien Jahrhunderte vor den Europäern entdeckt und islamisiert wurden, es dort überall arabisch Handelsniederlassungen und Siedlungen gab. Fast logisch folgten dann Referate über die frühen Entdeckungsreisen der Europäer, wobei es mir besonders die erstaunlich genauen Seekarten des Mittelalters, die Portulan- oder Kompasskarten antaten, über die ich samt der damit zusammenhängenden nautischen Technik bis in die achtziger Jahre hinein arbeitete, vortrug und veröffentlichte. Von da war es nur ein Schritt zu Referaten über die großen Begründer der exakten Erdwissenschaften: dem bedeutenden Jungius-Schüler Bernhard Varenius und weiter Alexander von Humboldt. Aber auch über frühe Ansätze der Alchemie und der Geochemie trug ich in den Schimankschen Kolloquien vor.

Es ergab sich ebenfalls von selbst, dass wir wenigen Schimankschüler uns oft in fast philosophische Dispute verloren. Und was Zassenhaus seinerzeit amüsiert zur Kenntnis nahm, wurde nun Wirklichkeit. Etliche aus dem Schimankkreis begannen Vorlesungen und Seminare in Philosophie zu belegen, wagten das damals als Klippe für Lehramtskandidaten bekannte Philosophikum und bestanden es bei einer Durchfallquote von etwa 50 Prozent mühelos. Es ist überhaupt nicht zu ermessen, welch tiefes und umfangreiches Wissen uns durch und über unseren verehrten Lehrer Hans Schimank vermittelt wurde. Und was für ihn gilt, gilt auch für unsere anderen Hochschullehrer: es waren, bei der meist kleinen Zahl von Hörern ,,Professoren zum Anfassen''. Hier noch ein Beispiel, das meine später studierenden Kinder erstaunt zur Kenntnis nahmen. Bei der letzten Prüfung des Rigorosums bei dem Wirtschaftsgeographen Erich Otremba wurde ich verpflichtend eingeladen zu dem am Abend vorher stattfindenden Institutsfest. Die Gattin des Professors wurde mir als Tischdame zugeteilt. Damit ich keine Minute früher als mein Prüfer aufbrach, der mich dann am nächsten Morgen in Gegenwart des Dekans der Fakultät die Gegensätze zwischen den beiden Inselgroßmächten Großbritannien und Japan erklären ließ.

Erlauben Sie mir noch einige Bemerkungen zu den Kosten des Studiums, ein heute wieder hochaktuelles, heiß diskutiertes Thema. Für uns gab es weder Bafög noch dessen Vorläufer, das sogenannte Honnefer Modell. Für den Lebensunterhalt hatten wir selbst zu sorgen. Schwierig, wie sich denken lässt, besonders nach der Währungsreform im Juni 1948. Dazu kamen die nicht gerade geringen Studiengebühren, die damals noch erhoben wurden. Sie lagen pro Semester bei etwa 200,- DM, damals viel Geld. Verständlich, dass nach der Währungsumstellung viele Kommilitonen ihr Studium verzweifelt aufgaben. Ich hatte Glück, während der Semesterferien in meinem erlernten Beruf als Schriftsetzer zu arbeiten, aber das Geld reichte auch so nicht. Da es Stipendien damals kaum gab, gab es nur die Möglichkeit, durch sogenannte ,,Fleißprüfungen'' bei zwei Ordinarien einen erheblichen Gebührenerlass zu erhalten. Diese Prüfungen hatten noch einen weiteren Vorteil: Man hatte eine Kontrolle über das erworbene Wissen und lernte gleichzeitig die später oft als Prüfer eingesetzten Professoren kennen. Nach meinem Doktorexamen übernahm ich gleich durch Vermittlung eines älteren Kommilitonen und einer vorausgegangenen praktischen Tätigkeit in einem modernen Zementwerk in Deutschland für ein gutes Jahr die Stelle eine Betriebschemikers und Betriebsleiters einer kleineren Zementfabrik in Spanien. Sie war alt und heruntergewirtschaftet, und bisweilen hatte ich den Eindruck, dass ich hier die Herstellung von Zement neu erfinden müsse. Der Besitzer wollte unbedingt einen Deutschen als Betriebsleiter haben. Damals glaubten die Spanier, dass deutsche Tüchtigkeit mit allen Schwierigkeiten fertig werde. Die Zeit war für mich eine Lehre in mehrfacher Hinsicht. Einmal musste ich in völliger fremder Umgebung und mit nur geringen Sprachkenntnissen eine Fabrik wirtschaftlich sinnvoll leiten, dann musste ich erlerntes theoretisches Wissen in eine praktische Tätigkeit umsetzen. Dabei wurde mir bewusst, wie gut die deutsche Universitätsausbildung war, so hart sie auch sein mochte. Und drittens begriff ich, wie sehr ich als Deutscher für Deutschland stand. Hätte ich versagt, hätten die Deutschen versagt, ihr legendär guter Ruf bei den Spaniern damals hätte zumindest im Umfeld meiner Tätigkeit Schaden genommen.

Dabei hatte ich keineswegs die Absicht, eine Karriere als Zementmacher zu begründen, obwohl es an Angeboten nicht fehlte. Nein, ich wollte nach dem vertraglich abgemachten Jahr nach Deutschland zurück. Ich hatte die Tätigkeit in Spanien ja eigentlich nur aufgenommen, weil die Aussichten für junge Akademiker in Deutschland damals schlecht waren, ich die reizvolle, wenn auch nicht einfache Tätigkeit in Spanien sofort nach dem Studium beginnen konnte. Ich hoffte, dass ich mich von Spanien aus dann für eine Tätigkeit bewerben konnte, die meinen Neigungen schon von den Studienschwerpunkten her - eben den Erdwissenschaften - angemessen war. Ich dachte an eine Stellung als ,,wissenschaftlicher Kartograph''. In einem auf Landkarten und Atlanten spezialisierten Verlag, wie es der Georg-Westermann-Verlag in Braunschweig war. Also bewarb ich mich da. Das Erstauen dort war groß: Ein Zementmacher in Spanien bewirbt sich hier als gehobenen Kartograph!

Da ich mit meinen verehrten Hochschullehrern, die offensichtlich Anteil nahmen an meinem Berufsweg, von Spanien aus korrespondierte, bat ich sie, weil Westermann es verlangte, um Referenzen. Sie waren sofort bereit. Auch Hans Schimank, der meinte, ich solle mich möglichst rasch aus meiner Tätigkeit in Spanien lösen, weil ich sonst als Zementmacher abgestempelt sei, wollte mir helfen, genau wie mein Doktorvater Wilhelm Brünger, die mir beide Lehraufträge für Erdwissenschaften in südamerikanischen Universitäten vermitteln wollten. Nein, ich wollte nach Deutschland zurück - und wie schon als Schüler erträumt - Kartograph werden. Es war eine Erlösung, als der Westermann Verlag in Braunschweig mir mitteilte, dass man es mit mir versuchen wolle. So begann ich im Mai 1953 nur wenige Tage nach meiner Rückkehr aus Spanien, meine Tätigkeit als Volontär in der kartographischen Abteilung bei Westermann in Braunschweig. Die Tätigkeit bereitete mir Freude und ich hätte dort sicher eine solide Berufskarriere aufbauen können.

Aber es sollte anders kommen. Im September erhielt ich einen Brief vom verehrten Hans Schimank, der mich dringend bat, nach Hamburg zurückzukehren: Man erwarte und brauche mich hier. Dazu eine kurze Erklärung: Die westdeutschen Kultusminister hatten 1952 das Studium an den Ingenieurschulen auf 6 Semester verlängert mit der ausdrücklichen Bedingung, dass dann in angemessener Weise die Kultur- und Wirschaftswissenschaften mit einer gebührenden Stundenzahl - in Hamburg acht Doppelstunden für jeden Studiengang über vier Semester - als Pflichtfächer erteilt werden müssen. Da Hans Schimank außer als angesehener Honorarprofessor auch Lehrer an der Hamburger Ingenieurschule war, zudem befreundet mit dem damaligen Kultur- und Schulsenator Heinrich Landahl, lag es nahe, dass er bei der Ausarbeitung der Lehrinhalte für diese neue Allgemeinbildung für Ingenieure beteiligt wurde. Und er muss wohl zu Beginn an seine ehemaligen Schüler gedacht haben, denn es war klar, es mussten Dozenten gesucht werden, die zumindest die Kulturwissenschaften in seinem Sinne unterrichten konnten. Er hatte mich dem Direktor der Ingenieurschule und dem zuständigen Oberschulrat bereits namentlich genannt und mir in seinem Schreiben versichert, dass ich offenen Türen und Ohren finden werde. Man erwarte mich baldmöglichst in Hamburg.

Es war eine schwere Entscheidung für mich, vielleicht die schwerste meines bisherigen Lebens. Ich entschied mich für die Aufgabe in Hamburg, zumal ich die roten Fäden meiner Schulzeit und meines Studiums: Erdwissenschaften und Geschichte, nun beide lehren konnte: als Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik im dritten, als Wirtschaftsgeographie für Ingenieure im vierten Studiensemester: Und auch das Studium der Physik, der Chemie und der Philosophie waren nun nicht umsonst, denn im ersten Studiensemester sollte ich Kultur und Technik, im zweiten dann allgemeine Kulturkunde unterrichten. Beide Fächerbezeichnungen schienen mir recht verschwommen, aber es wurde mir versichert, dass ich weitgehende Freiheit in der Gestaltung dieser hätte. Was mich zusätzlich beruhigte, mir sogar zusagte, war die Tatsache, dass ich es mit Praktikern, sowohl bei den Dozentenkollegen als auch bei den Studierenden, wie sie damals genannt wurden, zu tun hatte.

Begreiflich auch, dass die Studenten, die, oft nicht viel jünger als ich damals, mich nach Sinn und Zweck dieser verordneten Allgemeinbildung fragten und ich sie erst überzeugen musste, dass sie auch für angehende Ingenieure sinnvoll ist. Ich knüpfte an bei der widersprüchlichen Fachbezeichnung ,,Kultur und Technik''. Mir widersprüchlich, und so erklärte ich es den Studenten, weil die Technik, wie ich überzeugt war, ein wesentlicher, in unserer Zeit sogar der beherrschende Teil unserer Kultur ist. Ich stehe da sicher nicht allein, auch wenn vor allem Geisteswissenschaftler, auch heute noch, die Technik nicht in die Kultur integriert sehen möchten.

Mein Ansatz bei den Diskussionen mit meinen Studenten war Ortega y Gassets geistvoller Essay: ,,Meditationen über die Technik'', in dem Ortega die Ansicht vertrat, dass das geistige Denken, die Philosophie, der eigentliche Höhepunkt menschlichen Daseins wäre, der Techniker nur die Mittel zu schaffen hätte, um in einer anspruchsvollen, mit Geräten, Möbeln und Büchern ausgestatteten Umgebung Kontemplationen über Gott und die Welt anzustellen. Noch extremer, so schilderte ich es, waren die Ansichten von Ernst Jünger und einigen antiken Philosophen, die Handarbeit für unwürdig für den wahren, edlen Menschen hielten. Ich bin nicht sicher, ob wir heute über dieses Denken weit hinaus gekommen sind. In einer großen Wochenzeitung lass ich jüngst die Anekdote, P.C. Snow, ein bekannter englischer Naturwissenschaftler und Schriftsteller in seinem Essay über ,,Die zwei Kulturen'' berichtete. Bei Unterhaltungen im größeren Kreis gebildeter Menschen habe ich häufig literarisch hochgebildete Leute getroffen, die sich beim Geplauder mit Genuss über die angebliche Unbildung von Natur- und Technikwissenschaftlern mokierten. Er, Snow, habe sich nicht provozieren lassen und die Anwesenden gefragt, wie viele von ihnen ihm das 2. Gesetz der Thermodynamik angeben könnten. Die Reaktion war kühl bis negativ. Und doch, so meinte Snow, bedeute seine Frage aus den Naturwissenschaften etwas dasselbe wie: ,,Haben Sie etwas von Shakespeare gelesen?'' Es ließen sich noch viele Beispiele bringen, etwa von v. Werners Bericht, als er von der Tochter eines befreundeten Bankiers erzählte, die ihrem Vater beichtete, dass ein Ingenieur um ihre Hand angehalten hätte und der Vater wütend entgegnete: ,,Bleib mir mit diesem gehobenen Schlosser aus dem Haus!''

Erlauben Sie mir eine kurze Reflexion über den eben genannten Essay von Snow ,,Die zwei Kulturen''. Was er damit meinte, begründete und vehement verteidigte, war, dass es neben der Kultur im überkommenen Sinne eine zweite, davon unabhängige, aber nicht weniger bedeutende Kultur gäbe, die sich auf Naturwissenschaft und Technik gründete.

Aus dem angelsächsischen Raum, im Nachdenken über die Technik und die Naturwissenschaften, auch ihrer Geschichte, viel weiter als wir Kontinentaleuropäer, kommt mit John Brockman die These einer ,,Dritten Kultur'', wie er sein jüngst erschienenes Buch nennt. Er meint damit eine Verschmelzung der von Snow postulierten zwei Kulturen und ihre Erweiterung zu einem Denken, das die tiefere Bedeutung unseres Lebens sichtbar machen und neu definieren möchte ,,wer und was wir sind''.

Solche Gedanken konnte ich vor gut vier Jahrzehnten nicht in dieser modernen Form bringen. Aber Sie können sich denken, wie heftig über diese Thesen während des Unterrichts diskutiert wurde, wie ich mich dem Denken von Conrad Matschoß und Friedrich Dessauer anschloss, dass Technik- und Naturwissenschaftsgeschichte Teile unserer Kulturgeschichte insgesamt sind und dies meinen Hörern, und darüber hinaus, etwa in der aktiven Mitarbeit am Schulfunk, jungen Menschen nahe zubringen versuchte.

Wie gesagt, ich fühlte mich als Arbeiter auf diesen Gebieten und ich bin froh, wenn ich in Gesprächen oder Briefen mit meinen Studenten doch einige Resonanz des damaligen Unterrichts spüre. Ich weiss, dass ich kein Gelehrter bin, den man als Gelehrten verehrt. Ich wusste es spätestens, als ich von der neugegründeten Universität Bremen eine kurze als Drucksache frankierte Absage auf die Bewerbung auf einen Lehrstuhl oder für einen Lehrauftrag für Technik- und Naturwissenschaftsgeschichte erhielt, obwohl ich, ausführlich begründet, meinte, dass der damalige Gründungsrektor von der Vring gerade der übergreifenden Lehre - oft zur Nebensache für die Ordinarien an den meisten Universitäten geworden - eine neue, überragende Bedeutung verschaffen wollte.

Ich bin nicht böse über diese Absage. Ich bin rückblickend dankbar, dass ich aufgeschlossenen jungen Ingenieurstudenten neues, zusätzliches Wissen vermitteln konnte, selbst als 1970 mit der Gründung der Fachhochschule die Lehrpläne sehr gestrafft, die Reduzierung der Lehrverpflichtung von 24 auf 16 Wochenstunden erfolgte. Dies war auch verbunden mit einer starken Einschränkung der Allgemeinbildung, die man seitens der Hochschulbehörde und der Präsidialverwaltung wegen der Stofffülle am liebsten gestrichen hätte. Mit voller Billigung meiner Dozentenkollegen konnte ich mindestens für die meisten technischen Fachbereiche durchsetzen, dass die Technik- und Naturwissenschaftsgeschichte eines der Pflichtwahlfächer blieb, heute: Philosophie der Technik.

Ich war stolz, als man mir den Vorsitz der Hans-Schimank-Gedächtnisstiftung antrug und damit über den Tod meines verehrten Lehrers hinaus sein Vermächtnis betreuen und verwalten durfte, vor allem jungen Wissenschaftlern aus dem Bereich der Naturwissenschaftsgeschichte bei ihrer Arbeit zu helfen.

PD Dr. Karl-Heinrich Wiederkehr: Kriegsende und mein Studium in Hamburg

Auf einem U-Boot, das voll ausgerüstet Richtung Skagerrak fuhr - ich war der zweite Ingenieuroffizier - erreichte uns die Nachricht vom Waffenstillstand im Raume Dänemark, etwa eine Woche vor der allgemeinen Kapitulation am 6. Mai 1945 in Berlin. Es mag unser Glück gewesen sein. Das auf Grund gesetzte Boot wurde von einem englischen Schiff wieder freigezogen und in den Hafen von {AArhus geschleppt. Zusammen mit anderen Booten wurden wir dann im Geleit nach Wilhelmhaven übergeführt. Später kamen die Boote nach London. Vorher hatte man mich gegen einen Seeoffizier ausgetauscht, der auf der Brücke nützlich sein konnte. In der Kaserne in Wilhelmshaven teilte ich die Stube mit einem jungen, musikbegeisterten Leutnant zur See. Er hatte einen Grammophonapparat bei sich und immer wieder legte er die Platte mit dem Finale von R. Wagners Götterdämmerung auf. Es war die richtige Begleitmusik für jene Tage. Ganz am Ende des Finales erklang leise eine Hoffnungsmelodie. Als Internierte wurden wir nach Ostfriesland gefahren. Quartier fand ich bei einem Landschullehrer und half bei der Ernte von Pferdebohnen, die ich zum erstenmal dort aß und die mir gut schmeckten.

Für den Wiederaufbau zerstörter Städte wurden Handwerker und Techniker gesucht. Ich meldete mich für Hamburg und wurde mit anderen Kameraden auf den Flugplatz bei Wittmund gebracht. Wir übernachteten in Erdlöchern, die wir mit Moos und Tannenzweigen ausgepolstert hatten. Im Zuge der Entlassung mußte ich einem Vernehmungsoffizier Rede und Antwort stehen. Beim Eintritt in den Raum forderte mich unmißverständlich ein englischer Soldat mit einem dicken Knüppel in der Hand auf, mich tief zu verbeugen. Dann ging es im Laufschritt durch eine von Draht umzäunte lange Gasse, in der ein riesiges Plakat aufgestellt war mit dem Text ,,Hinein ins Vierte Reich''.

Hamburg hatte ich gewählt, weil ich mich dort Ende 1944 auf dem Weg zu meinem neuen Bordkommando verlobt hatte. Wie sollten nun die Weichen für das fernere Leben gestellt werden? Auf Anraten der Eltern hatten mein Zwillingsbruder Hans Konrad und ich ein vollwertiges Abitur an der Johann Peter Hebel-Schule in Schwetzingen gemacht; es war das letzte dieser Art für die nächsten Jahre. Wir hatten gute Lehrer, die tolerant waren und uns eine humane Gesinnung vermittelten. Nur im letzten Schuljahr 1940/41 war in den Unterricht eine nationalsozialistisch gefärbte Ideologie eingedrungen. So wurde bei der Besprechung des Nibelungenliedes Hagen von Tronje als der eigentliche Held gepriesen in seiner unverbrüchlichen Treue, vor Untaten nicht zurückschreckend. In der Oberstufe hatte ich mir als Lebensziel gesteckt, entweder Diplomingenieur oder Gymnasiallehrer für Mathematik und die exakten Naturwissenschaften zu werden. Von einem Klassenkameraden ließ ich mich überreden, für eine Bauratslaufbahn bei der Kriegsmarine (so genannte Silberlinge) eine Eignungsprüfung zu machen. Ich wurde angenommen, und so war schon vor dem Abitur im April 1941 mein Ausbildungsweg festgelegt. Doch während des Krieges durfte ich nicht studieren und wurde als Ingenieuroffizier mit den Aktiven ausgebildet. Die technischen Lehrgänge bei der Marine hatten ein hohes Niveau. Zuletzt machte ich auf der Halbinsel Hela den sogenannten LJ-Lehrgang (Leitender Ingenieur auf einem U-Boot).

Bei meiner Verlobten in Hamburg angekommen mußte ich nun abermals eine Entscheidung für meinen weiteren Lebensweg treffen, zusammen mit meiner Verlobten und auch mit deren Mutter, die schon viele Jahre lang verwitwet war. Das Haus, in der sich die Wohnung von Mutter und Tochter in Farmsen befand, war heil geblieben. Aber man mußte den damaligen Umständen entsprechend damit rechnen, daß ein Teil der Wohnung für ausgebombte Hamburger beschlagnahmt würde. Meine Verlobte war als medizinisch-technische Assistentin im Krankenhaus tätig, und so reifte der Entschluß in Hamburg zu studieren und zu heiraten. Nur als eingebürgerter Hamburger hatte ich die Chance, an der Hamburger Universität immatrikuliert werden zu können. Im September 1945 ließen wir uns in der Altrahlstedter Kirche trauen.

Bei meiner Bewerbung für ein Studium in Physik, Mathematik und Chemie machte ich darauf aufmerksam, daß ich binnen kurzer Zeit mein Abiturzeugnis nachliefern würde. Dazu mußte ich zu meinen Eltern nach Oftersheim bei Schwetzingen in der amerikanischen Besatzungszone fahren. Per Eisenbahn machte ich mich auf den Weg, drei Tage lang fuhr ich im offenen Güterwagen, manchmal dicht zusammengedrängt mit anderen Reisenden. In Heidelberg angekommen erwischte ich eine Straßenbahn nach Eppelheim. Die letzten fünf Kilometer ging ich zu Fuß mit dem Koffer auf den Schultern querfeldein. Am Haustor erwarteten mich bereits meine Eltern, die Kunde meiner Rückkehr war vorausgeeilt. Mit Tränen lagen wir uns in den Armen. Ein dreiviertel Jahr lang hatten meine Eltern nichts mehr von mir gehört und schon mit dem Schlimmsten gerechnet. So war auch der zweite Sohn heil über den Krieg gekommen, mein Zwillingsbruder war in Afrika schon einige Zeit vorher in amerikanische Gefangenschaft geraten. Wir waren überglücklich und ich teilte meinen Eltern meine Lebenspläne mit.

Für die Rückfahrt nach Hamburg brauchte ich ebenfalls drei Tage, hungrig und rußgeschwärzt traf ich in meinem zukünftigen Zuhause ein. Das Abiturzeugnis (mit guten und sehr guten Noten) wurde sofort abgeschickt. Umso erstaunter war ich, als ich vier Wochen später einen ablehnenden Bescheid erhielt mit der Begründung, daß das Abiturzeugnis fehle. Ich setzte alle Hebel in Bewegung, um doch noch einen positiven Bescheid zu bekommen. Man gab mir den Rat, in dem Haufen von Papieren und Dokumenten, der sich im Hauptgebäude an der Edmund-Siemers-Allee befand, nach meinem Zeugnis zu suchen, und nach zwei Stunden fand ich das für mich so wertvolle Papier. Zufällig wurde ein Studienplatz mit meinen Fächern frei, den ich dann erhielt.

Der Alltag war in jenen Monaten und Jahren durch einen Kampf um das tägliche Brot und die Beschaffung von Heizungsmaterial geprägt. Um eine Lebensmittelkarte zu bekommen, mußte ich eine Arbeitsbescheinigung vorweisen. Die Trümmer mußten beseitigt werden, Versorgungsleitungen gelegt, Wohnraum geschaffen werden. Ich selbst kam bei einer Gruppe unter, die Bäume in Parkanlagen und an den Straßenrändern fällten. Als Lohn bekam man täglich ein längeres Stück von einem Baumstamm mit nach Hause. Kohle und Briketts gab es nicht, Holz und Torf aus den nahen Mooren waren die einzigen Brennstoffe. Elektrische Energie wurde, wenn möglich, nur stundenweise am Tage geliefert.

Durch den Hauptbahnhof rollten täglich mehrere Züge Richtung Norden nach Dänemark. Wie von Geisterhand kamen manche Züge plötzlich zum Stehen, und innerhalb weniger Sekunden waren auf den Waggons Menschen, die ihre Säckchen und Taschen mit dem wärmespendenden Material vollfüllten. Auch ich ging öfters mit meinem alten stabilen Tauchretterbeutel in den Vorlesungspausen über den Hauptbahnhof, um Brennmaterial für ein warmes Plätzchen zu Hause zu requirieren. Mit dem Einsetzen von Pfiffen der Bahnpolizei und Hundegebell waren die Kohlenklauer verschwunden. Es war ein Akt der Selbsterhaltung gewesen, besonders in dem bitterkalten Winter 1946/47.

Lebensmittel erhielt die Bevölkerung nur für ein Existenzminimum, und um die Rationen aufzubessern wurde täglich gerungen. Und die Zuteilungen wurden immer weniger - vielleicht war dies auch ein Teil der Reeducation. Es gab Maisbrot - wie man später hörte angeblich ein Übersetzungsfehler. Corn bezeichnet im Amerikanischen nicht Getreide, sondern Mais. Halb Hamburg ging auf Hamstertour in die nähere ländliche Umgebung. Die Züge waren brechend voll, und auf den Trittbrettern drängten sich die Menschen. Auf dem Lande tauschte ich die mir zugeteilten Zigaretten ein. Meist hatte man bei den Bauern wenig Erfolg. Die Tauschpreise lagen hoch, so einen silbernen Teelöffel gegen ein Ei. Es ging die Rede, daß manche Bauern ihren Kuhstall mit Perserteppichen auslegten. Bei einem Landarbeiter konnte ich meine Marinelederkluft gegen drei Zentner Kartoffeln ,,verkaufen'', und wir konnten den harten Winter überstehen.

Schulkinder erhielten die ,,Schweden''-Speisung, um Unterernährung und Krankheiten zu verhindern. Für die Studenten war eine ähnliche Einrichtung getroffen worden. In einem Gebäude in der Nähe des Universitätsgeländes wurde eine gekochte, wohlschmeckende, breiartige Substanz in Blechtöpfen ausgeteilt. Es waren Spenden amerikanischer Kirchen- und Glaubensgemeinschaften - ein Akt christlicher Solidarität. Ehe ich morgens mit der U-Bahn zur Universität fuhr, nahm ich einen Eßlöffel puren Lebertrans zu mir. Als eine im Krankenhaus Beschäftigte bekam meine Frau dieses vitamin-und energiereiche Öl zur Erhaltung der Gesundheit. Viele Studenten wurden in jenen Jahren tuberkulosekrank und mußten später in eine Heilstätte geschickt werden.

Hamburg hatte sich drei Tage vor der Kapitulation in Berlin kampflos übergeben. Die Elbbrücken waren nicht gesprengt worden und der Stadt war so eine Hungerkatastrophe erspart geblieben. Unter der Aufsicht der englischen Besatzungsmacht sollte ein demokratischer Wiederaufbau erfolgen. In dieser Umbruchzeit machte man Rudolf Petersen zum Bürgermeister. Sein Großvater war der berühmte hamburgische Bürgermeister Dr. Carl Petersen, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Senat vorstand. Auch sein Bruder Carl Petersen hatte das Bürgermeisteramt bis 1933 bekleidet. Eine der maßgebenden Persönlichkeiten war Adolph Schönfelder, der von der Gewerkschaft her kam und Präsident der neuen Bürgerschaft wurde. Bei der Reorganisation der Universität stützte sich die Militärregierung auf eine Gruppe politisch unbelasteter Professoren, darunter der Anglist Emil Wolff, dem man das Amt des Rektors der Universität anvertraute, Rudolf von Laun, Völkerrechtler und der Altphilologe Bruno Snell. Am 6. November wurde die Universität mit einem Festakt im Großen Saal der Musikhalle eröffnet. Die Reden hielten der amtierende Schulsenator Heinrich Landahl und E. Wolff als Rektor. Landahl war bis 1933 Leiter der bekannten und reformorientierten Lichtwarkschule gewesen. Um Kontinuität und Tradition zu betonen, erschienen die Professoren in ihren Talaren. In seiner Rede machte Landahl deutlich, daß hauptsächlich den aus dem Kriege heimgekehrten Soldaten die Möglichkeit eines Studiums und einer Berufsausbildung gegeben werden sollte. Aus ähnlichen Gründen war ja 1919 vom der sozialdemokratischen Regierung die Universität gegründet worden. Damals trug sie den Namen ,,Hamburgische Universität''. In den 30er Jahren unter der Herrschaft der Nationalsozialisten war eine Umbenennung in ,,Hansische Universität'' vorgenommen worden. Landahl gab ihr nun den schlichten Namen ,,Universität Hamburg''. Emil Wolff rief in seiner Rede dazu auf, zu den alten Tugenden zurückzukehren, die unter der Hitlerregierung verschüttet worden waren.

Es hatten sich rund 10.000 Studienwillige um eine Immatrikulation beworben, zugelassen wurden nur etwa 3000. Extrem linken und kommunistischen Gruppen - und deren Anhängerschaft war damals nicht gering - war die relativ große Zahl von zugelassenen ehemaligen Offizieren ein Dorn im Auge. Sie forderten eine Änderung der Zulassungsbestimmungen. Noch lange klang mir ein Kommentar aus dem Radio des später hochgelobten Publizisten A.E. im Ohr. Er beklagte sich bitter darüber, daß ihm auf dem Universitätsgelände so viele Studenten in Offiziersstiefeln begegneten. Es seien dieselben Stiefel, unter denen ein großer Teil Europas in Trümmer ging. Wußte dieser Mann nicht, daß viele junge Männer mit Reifezeugnis oder Reifevermerk einfach als Offiziersnachwuchs herangezogen wurden. Als frisch ernannter Fahnenjunker oder Leutnant wurden sie an die Front geschickt, und viele waren schon innerhalb eines Jahres gefallen - im Glauben an eine gute Sache. Der Militärgouverneur von Hamburg, Colonel Armytage, ließ sich auf solche Spielchen nicht ein, wie sie in der späteren DDR praktiziert wurden.

Nach dem WS 45/46 wurden alle Studierenden exmatrikuliert. Neben dem Lehrkörper sollten nun auch die Studenten politisch durchleuchtet werden. Seitenlange Fragebögen mußten ausgefüllt werden. In der Hitlerjugend hatte ich keine führende Position inne gehabt, und als Leutnant der Reserve brauchte ich auch nichts zu befürchten; ich war unbelastet. Mit Beginn des SS 46 vermißte ich manches bekannte Gesicht.

Zurück zum Studiumsalltag. Im WS 45/46 hatte die mathematische Grundvorlesung Analytische Geometrie im großen Hörsaal des Botanischen Instituts an der Jungius-Straße begonnen. Ich glaube, es waren an die 200 Zuhörer, die z.T. auf den Treppenstufen saßen. Der Raum war ungeheizt, und mit klammen Fingern machte ich meine Mitschrift auf geglättetem Tütenpapier. Schreibmaterial gab es nicht. Professor Zassenhaus beschrieb in einer Schnelligkeit die Tafeln, der man nur mit Mühe folgen konnte. Lehrbücher gab es anfangs nicht, und es war eine große Erleichterung, als auf photochemischen Wege Lehrbücher kopiert und gekauft werden konnten. Die Vorlesungen für Experimentalphysik hielt in den ersten Semestern Professor Steubing. Doch bald kam Professor R. Fleischmann, der auch das Physikalische Institut neu einrichtete. Bei ihm schrieb ich später auch meine Examensarbeit für das höhere Lehramt. Theoretische Physik hörte ich von Anfang an bei Professor W. Lenz, der auch einer meiner Prüfer war. Vorlesungen in Physikalischer Chemie besuchte ich zwei Semester lang bei Professor Harteck. Auf Anordnung der englischen Militärregierung war die Kernphysik mehrere Semester lang tabu. Chemische Vorlesungen hörte ich bei den Professoren Schlubach und Remy. Der letztere war bei Prüfungen besonders gefürchtet; über die Fußnoten in seinem bekannten Lehrbuch mußte man genau Bescheid wissen. Als Prüfungsfächer hatte ich neben dem Hauptfach Physik noch Mathematik, Chemie und Philosophie gewählt. Für die Chemie waren mindestens zwei Semester im Labor vorgeschrieben. Man mußte eine bestimmte Anzahl Präparate herstellen und Analysen in der anorganischen Chemie machen. Das Labor befand sich außerhalb der Stadt in einer umgebauten Villa bei Manhagen in der Nähe von Ahrensburg, und mit der U-Bahn erreichbar. Die Villa stand in einem Garten mit vielen seltenen und exotischen Bäumen und Sträuchern (Arboretum). Die Laborarbeit nahm den ganzen Tag in Anspruch. Chemiekalien mußte man im chemischen Institut in der Jungius-Straße holen. Die Arbeitsplätze befanden sich an langen breiten Tischen, und in den Wandregalen darüber standen die Säuren, Laugen, Alkohol etc. Eines Tages nahm eine junge Kommilitonin den Arbeitsplatz neben mir ein und baute auf dem Tisch ein kleines Sandhäufchen auf. Als erste Aufgabe hatte sie die aluminiothermische Gewinnung von Chrom bekommen. Ich machte die Dame darauf aufmerksam, daß sie doch lieber auf die Terrasse gehen sollte, wo sich ein größerer Sandhaufen befand. Sie tat dies auch und bereitete alles vor. Als sie das Magnesiumbändchen gezündet hatte, gab es eine Riesenexplosion mit einer Rauch- und Staubwolke. Zum Glück wurde die Kommilitonin nicht verletzt. Wie konnte das geschehen? Statt des grünen Chrom(III)-oxids hatte sie in der Chemikalienausgabe das rote Chromtrioxid (Chrom(VI)-oxid) verlangt, das doppelt soviel Sauerstoff enthielt. Unvorstellbar, was geschehen wäre, wenn die Explosion im Raume stattgefunden hätte.

Bei Professor Hans Schimank hörte ich Vorlesungen über die Geschichte der Naturwissenschaften und bei Professor Adolf Meyer-Abich Metaphysik, philosophische Aspekte in den Naturwissenschaften. So kam neben dem homo faber auch der homo contemplativus zu seinem Recht. Es war ein Genuß, den verschlungenen Wegen des menschlichen Geistes zu folgen, bei seinem Versuch, die Welt rational zu erfassen. Zugleich wurden aber einem auch die Grenzen menschlicher Erkenntnis vor Augen geführt.

Während des zweisemestrigen chemischen Praktikums konnte ich natürlich keine anderen Vorlesungen besuchen. Am Wochenende holte ich mir die Mitschriften und Ausarbeitungen von einem gut befreundeten Kommilitonen, dem ich noch heute dankbar bin. So konnte ich mich in kürzester Zeit zum Examen melden. Für jedes Semester mußten damals Gebühren bezahlt werden, und die Glasgeräte für das Labor waren recht teuer. Ich wollte endlich Geld verdienen.

Ablenkung von Sorgen und Nöten des Alltags fand man in Konzerten, Theatern und manchmal auch im Kino. Die Kultur gab manchem Trost. Aber auch die Studierenden suchten, sich etwas Vergnügen zu verschaffen. In den Räumen des chemischen Instituts fand das erste Semesterabschlußfest statt.

Assistentinnen und Assistenten stellten aus Alkohol und Essenzen buntgefärbte likörähnliche Getränke her. Sie wurden in Tropftrichter gefüllt und hingen an der Decke, darunter wurden Reagensgläser gehalten. Bowle nahm man in Bechergläsern zu sich. Auch die Professoren waren dabei, so R. Fleischmann, der als Zimmermann auftrat und seine Aufbautätigkeit demonstrierte. Ein weiteres späteres Fest ist mir in unvergeßlicher Erinnerung. Es fand in dem Laborgebäude im Arboretum statt. Mit Lampions und Musik ging die Polonaise durch den herrlichen Garten. Das Leben hatte plötzlich auch wieder seine schönen Seiten. Nach der Währungsreform 1948 war man bestrebt, auf irgendeine Weise etwas Geld zu verdienen. Das Studentenwerk hatte eine Vermittlungsstelle für Gelegenheitsarbeiten eingerichtet. So ging ich z.B. mit einer Gruppe in der Nacht zum Mittelweg, um Gräben für Kabel des Rundfunks auszuheben. Ein guter Job war, bei gutsituierten Familien an Heiligabend den Weihnachtsmann zu spielen. Ein Kommilitone namens Geldmacher - er trug den richtigen Namen - hatte einen besonders lohnenden Einfall. Um den Hamburgern das mühsame Anstehen an Ämtern für Lebensmittelkarten zu ersparen, brachten Studenten das lebenswichtige Papier ins Haus gegen ein Entgeld von 1DM. Das mußte natürlich alles gut durchorganisiert sein. Man hatte so auch Kontakt zur Bevölkerung der Stadt und wurde oft für eine Pause zu einer Tasse Kaffee mit Kuchen eingeladen. Die Bezeichnung Student hatte einen guten Klang. Leider wurden recht bald die Lebensmittelkarten abgeschafft.

Mit dem 8. Semester hatte ich alle vorgeschriebenen Vorlesungen absolviert und die nötigen Scheine in der Tasche, und ich meldete mich mit Beginn des 9. Semesters zum Staatsexamen. Meine Examensarbeit handelte über Phänomene, die mit der Gravitation und der Erddrehung zusammenhängen. Das Examen bestand ich, es war eine Wanderung auf einem schmalen Grat gewesen. Schon 1950 kam ich in die Referendarausbildung und war dann ununterbrochen bis 1984 am Gymnasium tätig, zuletzt als Studiendirektor und Oberstufenkoordinator.

Nebenbei besuchte ich aber weiter Vorlesungen und Vorträge von H. Schimank und A. Meyer-Abich. Mitte der 50er Jahre bekam ich ein Thema für eine Dissertation in Geschichte der Physik, es lautete: ,,Wilhelm Webers Stellung in der Entwicklung der Elektrizitätslehre''. Anfang 1962 schloß ich meine Promotion ab und erhielt den Dr. rer. nat. Ich war der erste Doktorand bei Hans Schimank gewesen. Es war mir eine Genugtuung, daß meine Promotionsarbeit international Beachtung und Anerkennung fand. Auf Anraten von Professor Bernhard Sticker habilitierte ich dann Anfang der 70er Jahre und erwarb die venia legendi. Während der Anfertigungen meiner Doktorarbeit und Habilitationsschrift habe ich keine einzige Unterrichtsstundenermäßigung an der Schule in Anspruch genommen. Vom Institut für Geschichte der Naturwissenschaften wurde ich allerdings ausgegrenzt, - von den gleichen Personen, die auch meine Habilitation verhindern wollten. Die Freude an der Geschichte der Naturwissenschaften habe ich mir nicht nehmen lassen.

Abgeschlossene Doktor-, Diplom- und Studienarbeiten

Claudia Brüning: ,,Geschichte der Hamburger biologisch-chemischen Elbuntersuchungen'', Gutachter: Christian Hünemörder und Prof. Dr. Hartmut Kausch (Universität Hamburg, FB Biologie), Disputation: 14. Januar 2004
Philipp Oelwein: ,,Klassische Orgeln und moderne Synthesizer'', Studienarbeit, betreut von Gudrun Wolfschmidt, Abgabe: März 2004.
Klaus-Heinrich Peters: ,,Die Wechselwirkung zwischen Mathematik und Physik am Beispiel der Theorie der Distributionen'' (Doktorandenförderung der Hamburger Universität 2000-2002) Gutachter: Gudrun Wolfschmidt und Prof. Dr. Klaus Fredenhagen (Universität Hamburg, FB Physik), Disputation: 18. Juni 2003
Rajinder Singh (Oldenburg/Hamburg): ,,Nobel Laureate C.V. Raman's Work on Light Scattering - Historical Contributions to a Scientific Biography'', Gutachter: Gudrun Wolfschmidt und Prof. Dr. Falk Rieß (Universität Oldenburg), Disputation: 13. November 2003

Neue Habilitationsarbeiten

Vorträge der MitarbeiterInnen des SPGN

Igor Abdrahmanov Katrin Cura Andreas Fuls Jürgen Gottschalk Rahlf Hansen Peter Heering Stefan Kirschner Henning Krause Cornelia Lüdecke Dr. Felix Lühning (Bremen) Tanja Mancinelli (München) Günther Oestmann (Bremen) Karin Reich Elena Roussanova Torsten Rüting Wolfgang Steinicke Gudrun Wolfschmidt

Veröffentlichungen der MitarbeiterInnen des IGN

Philip Beeley Andreas Fuls Jürgen Gottschalk Peter Heering Christian Hünemörder Stefan Kirschner Jürgen W. Koch Jürgen Kühl Arndt Latußeck Cornelia Lüdecke Rajinder Singh Günther Oestmann Karin Reich Elena Roussanova Torsten Rüting Christoph J. Scriba Wolfgang Steinicke Jost Weyer Karl-Heinrich Wiederkehr Gudrun Wolfschmidt

Exkursionen

Exkursion von Cornelia Lüdecke

Exkursionen von Karin Reich

Exkursionen von Elena Roussanova

Exkursion von Gudrun Wolfschmidt

Exkursionsberichte

Katrin Cura: Bericht über den Besuch des Forschungsschiffes Gauß am 14. Januar 2004

Frau PD Dr. Cornelia Lüdecke veranstaltete vom 12. bis 16.1.2004 ein Blockseminar zur Geschichte der Geowissenschaft mit dem Titel: Entschleierung der Erde - Abenteuer versus Wissenschaft. Im Rahmen dieser Veranstaltung organisierte sie am 14. Januar einen Besuch des Forschungsschiff Gauß und ermöglichte den Teilnehmern einen Einblick in die praktische Forschung in Deutschland. Frau Dr. Lüdecke hat dieses Schiff in besonderer Erinnerung, da sie 1982 selbst an einer Forschungsreise teilnahm. Es ist eines der fünf Forschungs-, Vermessungs- und Wracksuchschiffe des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), die vor allem im Nord- und Ostseebereich tätig sind. Das Schiff ist nach dem gleichnamigen Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855) benannt, dessen Bild in der Offiziersmesse hängt. Das Schiff ist mit fast 69m Länge und 13m Breite das größte und der BSH-Flotte und wurde 1980 in Betrieb genommen. Schon bei der ersten Fahrt war der heutige Kapitän Herr Walde dabei und er kennt das Schiff wie seine Westentasche. Höchst persönlich zeigte er den Teilnehmern sein ,,Reich'', erzählte aus dem Alltag und beantwortete ihre Fragen. Über eine Stunde führte er sie durch die Forschungslabore, die Kajüten, die Brücke, das Deck und zeigte ihnen die großen Motoren mit einer Antriebsleistung von 1120kW. Besonders interessant fanden die fast 2 Meter hohe Sonde, mit der Wasserproben aus unterschiedlichen Wassertiefen genommen werden können. Insgesamt hat das Schiff 19 Mann Besatzung, zu dem auch Köche und Stewards gehören. Oft fahren auch Auszubildende mit, die den Beruf des Schiffmechanikers lernen, der früher Matrose hieß. Die Crew arbeitet eng mit den Wissenschaftlern zusammen, die dort Wasseranalysen, Sediment- oder Wetteruntersuchungen durchführen. Insgesamt können bis zu 12 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mitfahren, die in zwei-Personen-Kajüten untergebracht sind. Für die Universitäten und Forschungseinrichtungen des In- und Auslandes ist das Schiff ein fester Begriff und wird mit seinem eingespielten Team gern gebucht. Die Fahrten führen meistens in den Nord- und Ostseeraum, aber auch das Mittelmeer und Grönland gehörten zu den Zielen. Für Seefahrerromantik bleibt dabei wenig Platz. Der Kapitän erzählte, dass sie für Wetteruntersuchungen sogar extra in ein Sturmtief hineinfahren müssen. So waren sie bei einer Wellenuntersuchung 22m hohen Brechern ausgesetzt, die das Schiff mit seinen nur 4,6m Tiefgang gehörig durchschüttelten. ,,Manch einer bekam Angst'', meinte er schmunzelnd. Auch hätten sie schon Schiffbrüchige aus tosender See gerettet. Da wundert es nicht, dass alle Geräte an Bord fest mit den Tischen verschraubt sind und an den Gängen griffbereit die Spucktüten hängen. Die Reisen dauern zwischen einer bis drei Wochen und sind der Höhepunkt monatelanger Vorbereitungen. Schon der Beginn gleicht einem Umzug, denn die Forscher bringen ihre eigenen Untersuchungsgeräte auf das Schiff und müssen sie dort seetauglich befestigen. Manchmal wird auch ein zusätzlicher Container mit Meßinstrumenten auf das Deck gesetzt. Eine Forschungsfahrt auf der Ostsee blieb dem Kapitän unvergesslich, denn nach dem Unfall des Kernreaktors in Tschernobyl (1986) musste das ganze Schiff und die Besatzung auf Radioaktivität überprüft werden.

Am Ende der Führung lud Kapitän Walde die Teilnehmer in die Offiziersmesse ein und bei einem Bier beantwortete er weitere Fragen und erzählte unterhaltsame Begebenheiten. Auf die fröhliche Runde blickte der gemalte Carl Friedrich Gauß, und es kam mir vor, als würde er etwas schmunzeln (vgl. Abbildung).

Melanie Rappold: Bericht über die Exkursion zur Museums-Apotheke in Burg (Schleswig-Holstein) am 20. Juni 2003

Im Rahmen des Seminars zur Geschichte der Chemie: ,,Meilensteine in der historischen Entwicklung der Chemie'' für Studierende der Lehrämter wurde am 20. Juni 2003 eine wissenschaftshistorische Exkursion nach Burg in Dithmarschen zur Besichtigung der historischen Apotheke im Heimatmuseum von Elena Roussanova veranstaltet. 14.23 Uhr am 20. Juni 2003 auf Gleis 3 Bahnhof Dammtor sollte die Exkursion beginnen, aber kaum anders zu erwarten hatte die Deutsche Bahn Verspätung. Es machte sich ein wenig Sorge bemerkbar, ob wir unsere Anschlusszüge in Elmshorn und Itzehoe bekommen würden. Komfortabel, aber mit schlechtem Gewissen und die ,,deutsch-türkische Freundschaft'' vertiefend, führen wir nach Elmshorn und weiter nach Burg. Das Heimatmuseum ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Es gibt nicht nur eine vollständige historische Apotheke aus dem 19. Jahrhundert zu besichtigen, sondern auch einen Schuster, eine Sattlerei, einen Zahnarzt und einen Friseur. Man spürt mit wie viel Liebe, Sorgfalt und persönlichem Engagement das Museum errichtet wurde.

Unsere kleine Besuchergruppe bekam eine tolle Führung durch das Museum vom Apothekenleiter und Museumsgründer, Herrn Peter Sommer und noch besseren Kuchen (Schmandkuchen) und Kaffee, was den Besuch abrundete. Wir traten den Rückweg an und beschlossen diesmal direkt nach Hamburg-Altona zu fahren. Es wäre auch bestimmt der schnellere Weg nach Hause gewesen, hätte die S-Bahn unbeschwert vom S-Bahnhof Holstenstrasse zum Bahnhof Dammtor fahren können. Aber nein, immer wenn man es eilig hat und schnell nach Hause möchte, passiert etwas. So natürlich auch an diesem Freitagabend- Notbremse und Polizeieinsatz Bahnhof Sternschanze! Sieht man diesem letzten Zwischenfall ab, war es doch eine sehr schöne und interessante Exkursion! Die Museums-Apotheke in Burg ist auch im Internet http://www.apotheke-sommer.de zu besichtigen.

Katrin Cura: Bericht über die Exkursion zum Liebig-Museum in Gießen am 12. Juli 2003

2003 war das ,,Jahr der Chemie'' und gleichzeitig feierte man den 200. Geburtstag Justus von Liebig. In diesem Zusammenhang hat die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) im Mai 2003 das Museum als ,,Historische Stätte der Chemie'' gewürdigt und mit einer Gedenktafel versehen. Dieses nahm Frau Elena Roussanova zum Anlass, und organisierte am 12. Juli 2003 mit ihrem Seminar zur Geschichte der Chemie ,,Meilensteine in der historischen Entwicklung der Chemie'' eine Exkursion zum Liebig-Museum. Mit 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmern folgte sie einer Einladung des Kurators, Herrn Dr. Hans von Zerssen. In dem Bibliotheksraum wurden alle bei Kaffee und Keksen herzlich begrüßt und über das Museum informiert. Anschließend führte Herr Magnus Mueller durch die Räume.

Schon früh fand von Liebig den Weg zur Chemie, auch wenn er anfangs nicht besonders erfolgreich war. Er wurde 1803 in Darmstadt als Sohn eines wohlhabenden Drogisten geboren. Mit 14 Jahren begann er eine Apothekerlehre in Heppenheim, wurde aber wegen seiner gefährlichen Experimente wieder nach Hause geschickt. 1819-22 studierte er in Bonn und Erlangen Chemie, musste aber das Studium wegen der Teilnahme an Studentenunruhen abbrechen und erhielt in Darmstadt Stadtarrest. 1822 ging er zum Chemiestudium nach Paris und promovierte 1823 ,,in absentia'' in Erlangen - wie passend - über das Knallquecksilber. Seine Leistungen waren so überragend, dass er 1824, mit 21 Jahren, zum außerordentlichen Professor in Gießen berufen wurde. 1845 wurde er in den erblichen Freiherrenstand erhoben und 1852 wurde er nach München berufen, wo er 1873 starb.

Das heutige Museum ist ursprünglich ein Wachhäuschen einer alten Kaserne gewesen, das 1823 zum chemischen Laboratorium umfunktioniert wurde. Im Untergeschoss richtete der junge Professor seine Arbeits- und Laborräume ein, im Obergeschoss wohnte er mit seiner Familie. Anfangs musste von Liebig viele Apparate und Geräte aus eigener Tasche bezahlen, um überhaupt lehren zu können. Trotzdem fand er bei den Gießener Studenten aufgrund seiner Lehrmethoden schnell großes Interesse und zog Gäste aus aller Welt an. Das Gebäude wurde nach langem Ringen 1833 und 1839 erweitert. In seiner Gießener Zeit hat Justus von Liebig das erste moderne Universitätslaboratorium für Chemie konzipiert und eingerichtet. Er hat hier das experimentell ausgerichtete Chemiestudium begründet, gelehrt und geforscht. Gemeinsam mit seinen Schülern führte er in diesem Zeitraum zukunftsweisende und bahnbrechende Arbeiten auf den Gebieten der analytischen, der organischen, der agrikultur- und der physiologischen Chemie durch. Einige Stichworte dazu sind: Elementaranalyse, Radikaltheorie, Isomerie, Mehrwertigkeit, Minimumgesetz, Silberspiegel, Fleischextrakt, Säuglingsnahrung und Düngemittel.

Im Museum sind 12 Räume zu besichtigen, in denen viele nachgebildete oder zeitgenössische Möbel und Geräten stehen. Sie geben einen lebendigen Eindruck von den Arbeitsbedingungen. Das ,,Alte Labor'' hatte mehrere Öfen aber keinen Abzug, so dass die Studenten und Chemiker den giftigen Substanzen unmittelbar ausgesetzt waren. Auch ähnelte es im Aufbau eher einem alchemistischen Labor. Dagegen sieht das ,,Analytische Labor'' mit seinen Abzügen und vielen Arbeitsplätzen modern aus. Kernthema dieses Raumes ist die Elementaranalyse, die mit dem von Liebig entwickelten Fünf-Kugel-Apparat durchgeführt wurde. Seine engsten Assistenten und er selbst arbeiteten in einem kleinen ,,Privatlabor''. In seinem ,,Privaten Schreibzimmer'' konnte er ungestört arbeiten und durch ein kleines Fenster auf den Gang sehen. Somit hatte er seine Studenten immer im Blick, denn zuletzt betreute er 59 Personen. Im ,,Auditorium'' hielt Liebig seine berühmten Experimentalvorlesungen. Die vorhandenen 60 Sitzplätze dürften nur selten ausgereicht haben, denn die Zahl der Hörer lag bei 100. In den anderen Räumen sind seine Veröffentlichungen, Ehrungen und weiteren Leistungen zu sehen. Weitere Informationen finden sich unter: http://www.liebig-museum.de. Die Exkursion hat den Teilnehmerinnen und Teilnehmern viel Spaß gemacht und interessante Eindrücke geboten. Diese Exkursion wurde durch die Schimank-Stiftung ermöglicht, die dankenswerterweise den studentischen Teilnehmern einen notwendigen Fahrkostenzuschuss zu Verfügung stellte.

Martin Kröger und Katja Neumann: Bericht über die Exkursion am 9. Januar 2004 zur ,,Norddeutschen Affinerie AG''

Im Rahmen der Veranstaltungen zur Chemiegeschichte im Wintersemester 2003/04 war die Besichtigung der Norddeutschen Affinerie AG, des größten Kupferproduzenten und Herstellers von Gießwalzdraht und Strangussformaten in Europa, geplant (http://www.na-ag.com). Unsere Gruppe bestand aus den Teilnehmern zweier Seminare des Schwerpunktes Geschichte der Naturwissenschaften und deren Dozentin Elena Roussanova. Wir haben uns am 9. Januar 2004 um 14 Uhr am S-Bahnhof Veddel getroffen. Dann sind wir gemeinsam mit dem Bus zur Hovestraße 50 gefahren und gegen 14.30 Uhr wurden wir durch den Leiter des Dokimasie-Laboratoriums, Herrn Dr. Thomas Kreuscher in den Seminarräumen begrüßt. Bei einer kleinen Erfrischung konnten wir uns zurücklehnen und bekamen zur Einführung einen audiovisuellen Vortrag über die Gewinnung von Kupfer sowie über die verschiedenen Arbeitsbereiche der Norddeutschen Affinerie. Nach einer kurzen Fragestunde und Besichtigung der Ausstellung, sind wir mit Schutzkleidung (einschließlich Schutzbrille und Helm) ausgestattet worden. Während der Führung erläuterte man uns die einzelnen Produktionsbereiche. Ein eigens dafür bereitgestellter Kleinbus ermöglichte uns den Rundgang in verschiedenen Prozessabschnitten der Kupfergewinnung auf dem sehr großen Gelände des Werkes. Der Anfang der Firma reicht in das Jahr 1770 zurück, als Markus Salomon Beit die Erlaubnis erhalten hat, einen Silberscheid- und Schmelzofen in Hamburg anzulegen. 1866 wurde die Norddeutsche Affinerie als Aktiengesellschaft unter Beteiligung der Norddeutschen Bank und der Allgemeinen Deutschen Kreditanstalt gegründet. Die Rohstoffe zur Gewinnung von Kupfer bestehen aus ca. 40% Recyclingmaterialien und zu 60% aus den von Minen gelieferten Erzkonzentraten (Primärstoff).

Nach dem Aufschmelzen der Rohstoffe und des darauf folgenden Reinigungsprozesses durch die Elektrolyse, wird das 99,9%ige Kupfer in seine Handelsformen gebracht und so in Form von Walzplatten, Rundbarren und Drähten weitervermarktet bzw. verarbeitet. Neben den hochreinen Kathodenkupfer werden auch die Nebenprodukte wie Eisensilikatgestein, hochreine Schwefelsäure sowie die wichtigen Kupferbegleiter Blei, Silber, Gold und verschiede Verbindungen solcher Begleiter wie z.B. Selen und Nickel gewonnen.

Im Anschluss besuchten wir das Dokimasie-Labor des Werkes. Das Labor ist verantwortlich für die Analyse eingehender Rohstoffe sowie der Qualitätskontrolle des handelsfähigen Produktes. Einer der Höhepunkte der Exkursion war die Vorführung der Kupellation des Goldes durch Herrn Dr. Kreuscher und die Mitarbeitern des Laboratoriums. Obwohl das Verfahren noch aus der Antike stammt, ist es wegen seiner Präzision und seiner Einfachheit noch heute gebräuchlich. In diesem Verfahren wird einer Goldperle die drei- bis fünffache Menge Blei zugesetzt. Das legierte Korn kommt in eine Kupelle (ein kleines Aschtiegel) und wird in einem Ofen auf 800 bis 900$^{circ$C erhitzt. Das Korn wird bei der Schmelze schnell kleiner. Da die eventuellen Verunreinigungen des Goldes sich im Blei akkumulieren, lässt sich an der Verfärbung der Kupelle die Art der Verunreinigung bestimmen. Nach vollständigem Verschwinden des Bleies in der Kupelle, lässt sich eine kurze schöne Leuchterscheinung beobachten. Das Phänomen des Leuchtens, der sogenannte ,,Blick'', können wir auf ein Freiwerden der Schmelzwärme während der Änderung des Aggregatzustandes von flüssigem zum festen Gold zurückführen. Diese Demonstration stellte den Abschluß einer sehr interessanten und informativen Werksbesichtigung dar. Abschließend erhielt jeder Teilnehmer als Präsent das von der NA herausgegebene ,,Lexikon der Metalle''. Bei dieser Gelegenheit möchten wir Herrn Dr. Thomas Kreuscher und den Mitarbeitern der Norddeutschen Affinerie AG für diese interessante Besichtigung herzlich danken.

Bericht über die Exkursion am 10.10.2003 nach Dortmund ,,Geschichte des Vermessungswesens''

Dortmund verfügt über die größte deutsche Sammlung von Instrumenten zur Geschichte des Vermessungswesens. Die Organisation der Exkursion übernahm der Vermessungsingenieur, Herr Dipl.-Ing. Heinz Jürgen Lagoda (Duisburg), der dem Förderkreis Vermessungstechnisches Museum vorsteht. Wir besuchten zunächst im Westpark die Fachbibliothek, die uns Herr Dipl.-Ing. Helmut Mirow schmackhaft machte. Gleich nebenan konnten wir die Studiensammlung bewundern, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Diese ist unglaublich interessant und umwerfend groß, sie umfaßt mehr als 1000 Objekte. Den Abschluß bildete ein Besuch des Kunst- und Stadtmuseums, wo wir von Herrn Dr. Junius durch die Abteilung Geschichte des Vermessungswesen geführt wurden. Dort sind alle die Objekte ausgestellt, die nicht nur interessant, sondern auch optisch sehr vielversprechend sind. Allen drei Herren sei aufs herzlichste für die große Mühe, die sie sich gegeben haben, gedankt.

Jürgen Gottschalk: Bericht über die Exkursion unter Leitung von Karin Reich nach Hannover am 5. Februar 2004, Thema ,,Leibniz''

Die Exkursionsgruppe (11 Teilnehmer vom IGN aus Hamburg) startete um 9.00 Uhr vom Hauptbahnhof Hamburg mit der DB und erreichte Hannover um 11.15 Uhr, wo 3 weitere Teilnehmer von der Uni Göttingen hinzukamen. In der Niedersächsischen Landesbibliothek (Labi), die u.a. fast den gesamten Nachlaß (ca. 60.000 Stücke bzw. Texteinheiten mit unterschiedlichem Blattumfang, davon ca. 15.000 Briefe an und von ca. 1.200 Briefpartner/n. Etwa 40% sind in Latein, 35% in Französisch und der Rest überwiegend in Deutsch abgefaßt)des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) beherbergt, wurden wir um 11.30 Uhr von Dr. Siegmund Probst (tätig im Leibniz-Archiv der Leibniz-Forschungsstelle), Dr. Friedrich Hülsmann und Frau Dipl.-Bibliothekarin Anke Hölzer (beide tätig in der Handschriftenabteilung) herzlich empfangen. Dr. Hülsmann und Frau Hölzer hatten ausgewählte Originalhandschriften zu unterschiedlichen Themen wie Technik, Berliner Akademiegründung im Jahre 1700, Monadologie und Konzepte für Ernährungsfragen und Krankenhauseinrichtungen im Konferenzraum zur Einsichtnahme ausgelegt. Dr. Probst gab zu den genannten Themen ergänzende Erläuterungen und berichtete über seine Tätigkeit und Mitarbeit an der Editionsarbeit für G.W. Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe, Siebente Reihe, Mathematische Schriften (hauptsächlich die Pariser Jahre 1672-1676), die im Akademie-Verlag Berlin erscheinen. In dieser Reihe sind bisher drei Bände im Umfang von ca. je 900 Seiten unter der Leitung von Prof. Dr. Eberhard Knobloch, Berlin, erschienen.

Ein besonderes Erlebnis war die Besichtigung und Erläuterung des Mechanismus der einzigen nach Leibniz' Vorstellungen konstruierten und erhaltenen Rechenmaschine für alle vier Grundrechenarten von 1694, an der unterschiedlich befähigte Mechaniker bis zu Leibniz' Tod (1716) gearbeitet haben, ohne den Erfolg einer zuverlässigen Funktionsfähigkeit. Um 13.15 Uhr verabschiedeten wir uns mit herzlichem Dank von den Mitarbeitern der Handschriftenabteilung und machten mit Dr. Probst eine kurze Mittagspause in der Kantine der Finanzbehörde.

Mit bestem Dank verabschiedeten wir uns danach auch von Dr. Probst und gingen zur Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis. Dort besuchten wir Leibniz' Grabstätte, die mit einer großen Sandsteinplatte und der Aufschrift OSSA LEIBNITII gekennzeichnet ist. Der Küster Peter Leise gab ergänzend Hinweise auf die Baugeschichte der Kirche und Neugestaltung der Leibnizschen Grabstätte. Mit Dank verabschiedeten wir uns und begaben uns zum ,,neuen'' Leibnizhaus am Holzmarkt 5 mit rekonstruierter Weser-Renaissance-Fassade des im 2. Weltkrieg in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 durch Bomben schwer getroffenen und weitgehend zerstörten alten Leibnizhauses in der Schmiedestraße 10. Wir wurden von Frau Kerstin Hellmuth (Geschäftsstelle des Leibnizhauses) freundlich empfangen und kurz über die Nutzung des Leibnizhauses informiert.Das heutige Leibnizhaus wird als Gästehaus der hannoverschen Hochschulen genutzt und von der Universität Hannover verwaltet. Es bildet vor allem eine internationale Begegnungsstätte für Wissenschaft und Forschung mit zeitlich begrenzter Unterbringung für Gastwissenschaftler und deren Familien. Außerdem biete das Leibnizhaus mit unterschiedlich großen Räumen gute Voraussetzungen für Konferenzen, Diskussionsveranstaltungen und Tagungen. Im Erdgeschoß des Hauses befindet sich die Leibniz-Halle, innerhalb der eine kleine Dauerausstellung als Leibniz-Erinnerungsstätte eingerichtet ist mit Kopien von Handschriften zur Philosophie, Religionswissenschaft, Mathematik, Naturwissenschaften, Welfengeschichte unter anderem sowie Darstellungen seiner Reiserouten und Verbindungen zu vielen Wissenschaftlern seiner Zeit im In- und Ausland. Ferner finden sich dort Bücher, Karten und eine Nachbildung seiner Rechenmaschine sowie das Original seines Reiseklappsessels. Abschließend berichtete Dr.-Ing. Franz-Otto Kopp (Institut für Getriebetechnik der Uni Hannover) über seine Arbeit (ein DFG-Forschungsauftrag) an der Rekonstruktion einer funktionsfähigen Leibnizschen Rechenmaschine. Er demonstrierte an einem Rechenbeispiel den Funktionsablauf, dargestellt auf Overheadfolien und anschaulich vorgeführt an einem Plexiglasmodell (Maßstab: 1:2) jedoch mit nur 3 Einstellziffernscheiben und dem Mechanismus für die Zehnerübertragung, bestehend aus etlichen Getriebeteilen, wovon die Staffelwalze in Verbindung mit einer Zahnstange Leibniz' Erfindung ist. Nach kurzer Erholungspause im Restaurant Mario und herzlichem Dank an Dr. Kopp begab sich die Exkursionsgruppe zum Bahnhof. Die Exkursion endete in Hamburg-Hauptbahnhof gegen 20.00 Uhr.

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Die letzte Änderung stammt vom 18. April 2004.

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