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Das Jakob von Uexküll-Archiv
für Umweltforschung und Biosemiotik


Kontakt:
Dr. Torsten Rüting (E-Mail), GN 11

,,Uexküll-Symposium und Eröffnung des Archivs''
am Fr/Sa 9./10. Januar 2004


,,Solange wir in der Biologie technische Modelle verwenden, ohne zu bemerken, dass wir mit ihnen der Natur nur unsere menschlichen Bedürfnisse als Richtlinien unterstellen, sind wir, wie Jakob von Uexküll es ausdrückt, >bedeutungsblind<. Wir können weder die Frage nach der Herkunft und Legitimität unserer Bedürfnisse noch die Frage nach Herkunft und Legitimität der Bedürfnisse anderer Lebewesen stellen. Wir können auch nicht untersuchen, in welcher Weise die Bedürfnisse der verschiedenen Lebewesen auf diesem Planeten aufeinander angewiesen sind.'' (Thure von Uexküll in : Jakob v. Uexküll: Kompositionslehre der Natur. Ausgewühlte Texte. Ullstein Verlag. Frankfurt, Berlin, Wien 1980, S. 42 f.).


Uexküll und sein Institut in Hamburg

1926 gründete der Biologe Jakob von Uexküll (1864-1944) an der Hamburger Universität das Institut für Umweltforschung. Hier sollten auf der Grundlage seiner originellen Forschungskonzeption Lebewesen nicht als isolierte Objekte sondern als untrennbar mit ihrer Umwelt verbundene Subjekte erforscht werden. Dieses Projekt zog in kurzer Zeit 14 Wissenschaftler in das Institut im alten Zoologischen Garten der Hansestadt. Zunächst diente ein Kiosk am Aquarium als Arbeitsraum, dann wurde die Direktorenvilla an der Tiergartenstraße 1 zum Institutsgebäude.
Trotz vieler Widrigkeiten entstanden unter Uexkülls Leitung bis 1936 ca. 100 Veröffentlichungen. In den dreißiger Jahren leitete Uexküll gemeinsam mit Adolf Meyer (1893-1971, später Meyer-Abich), Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Hamburger Universität, Seminare über Naturphilosophie und Erkenntnistheorie. Meyer war auch federführend an der Festschrift zum 70. Geburtstag von Uexkülls beteiligt. Nachfolger Uexkülls wurde sein Assistent Friedrich Brock (1898-1958). Während des Kriegsdienstes und der Gefangenschaft Brocks führte Emilie Kiep Altenlohe, später Senatorin der Hansestadt und Bundestagsabgeordnete, das Institut. Schon 1938 musste das Institutsgebäude dem Projekt ,,Planten und Blomen'' und einem neuen Seewasseraquariums weichen. Es wurde in der Gurlittstraße 37 (St. Georg) angesiedelt, wo es bis 1959 bestand.
Uexkülls Werke Umwelt und Innenwelt der Tiere (1909), Bausteine zu einer biologischen Weltanschauung (1913), Theoretische Biologie (1920/28), Bedeutungslehre (1940) und seine populärwissenschaftlichen Bücher Biologische Briefe an eine Dame (1920) und Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen (1934) hatten großen Erfolg, fanden jedoch nur bei einer kleinen Gruppe von Biologen Akzeptanz.
Uexküll wirkte aber als Mittler zwischen Natur- und Kulturwissenschaften. Er beeinflusste neben seinen Hamburger Kollegen Ernst Cassirer, William Stern und Heinz Werner auch Viktor von Weizsäcker, Ludwig von Bertalanffy, Konrad Lorenz, Gottfried Benn, Helmuth Plessner, Rainer Maria Rilke, Aldous Huxley, Mies van der Rohe, Ortega y Gasset u.a.. Uexkülls Sohn Thure entwickelte aufbauend auf den Ideen seines Vaters die psychosomatische Medizin in Deutschland. Inzwischen wird Uexkülls Einfluss auf die Wissenschaften von einer internationalen Forschergemeinde untersucht. 2001 erschien beispielsweise ein Sonderband der internationalen Zeitschrift Semiotica unter dem Titel: ''Jakob von Uexküll: a paradigm for biology and semiotics''. Uexküll gilt heute als Stammvater der Biosemiotik und der ,,Funktionskreis'', den er Anfang des Jahrhunderts entwarf, symbolisiert jetzt die Idee eines neuen Paradigmas für die Lebenswissenschaften des globalen Zeitalters.

Geschichte des Archivs

1959 wurde das Institut für Umwelforschung in das Zoologische Institut und Museum (ZIM) eingegliedert. 1983 übergab die Familie Uexküll auch einen Teil des privaten Nachlasses des Forschers an das ZIM. Es wurde vereinbart, aus den Nachlüssen ein Jakob von Uexküll-Archiv aufzubauen. Dieses wurde jedoch nicht verwirklicht.
Nachdem in Tartu (ehem. Dorpat, Estland, der Heimat der von Uexkülls) 1994 ein Jakob von Uexküll Centre gegründet worden war, regte Thure von Uexküll nach dessen Besuch an, die vernachlässigten Nachlässe aus Hamburg nach Tartu zu schaffen. Die vom damaligen Universitätsprüsidenten Lüthje unterstützte Übergabe des Nachlasses wurde 1998 jedoch gestoppt, da sich Angehörige der Universität, u.a. Prof. Hünemörder, für den Verbleib in Hamburg einsetzten. Erneut wurde angestrebt, den Nachlass zu katalogisieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieses Projekt wurde aber nicht vorangetrieben.
Vor einigen Jahren konnte ich bei einem Aufenthalt in Tartu mit Wissenschaftlern der dortigen Universitüt und des Uexküll-Centres ein gemeinsames Projekt zur Katalogisierung und online-Veröffentlichung des Nachlasses beschließen. Inzwischen wurden für die entsprechende Computerausstattung in Tartu, wo u.a. die Korrespondenz Uexkülls bearbeitet wird, Gelder von der Möllgard-Stiftung und dem Deutschen Kulturinstitut Tartu zur Verfügung gestellt. Der Schwerpunkt hat für drei Monate eine studentische Hilfskraft für die Katalogisierung des Nachlasses bewilligt und mir innerhalb einer halben Stelle für ein halbes Jahr die Betreuung und Erschließung des Nachlasses übertragen.
Aufgrund des vorgetragenen Interesses, beschloss der GD des ZIM, Prof. Giere, den gesamten Nachlass an den Schwerpunkt für Geschichte der Naturwissenschaften zu übergeben. Nach Institutsratsbeschlüssen wurde am 24.1.2003 von Prof. Alexander Kreuzer und Prof. Karin Reich eine Vereinbarung unterzeichnet, die die Verantwortung zur Erschließung und Eröffnung des Jakob von Uexküll-Archivs in die Hände unserer Institution legt. Diese Aufgabe wird jetzt auch von Herrn Prof. Dr. Stefan Kirschner unterstützt, der ab Sommersemester 2003 die Professur für Biologiegeschichte angetreten hat.

Eine Bereicherung für unser Institut

Unser Anliegen ist es, aus dem Uexküll-Nachlass, für den es ein steigendes internationales Interesse gibt, ein repräsentatives Jakob von Uexküll-Archiv für Geschichte der Umweltforschung und Biosemiotik zu machen. Das Archiv bereichert das Institut um ca. 450 Monographien, 4200 Separata, Urkunden, Fotografien, Zeichnungen und andere Dokumente, überwiegend zur Geschichte der Biologie, Medizin, Psychologie und Philosophie zwischen 1860 und 1960.
Der Schatz wurde zunächst in dem frisch gestrichenen Raum E18 untergebracht. Inzwischen ist er im 2. Stock des Anbaus vom Geomatikum GN 11 (Raum 207) untergebracht. Für die Anschaffung eines ansprechenden neuen Regalsystems, sowie Möglichkeiten zur Verwahrung wertvollerer Stücke und Dokumente, wurden nach einem Antrag bei der Abteilung für Forschung und Wissenschaftsförderung von der Universität 1100 Euro zur Verfügung gestellt. Die Überführung des Hauptanteils der Materialien wurde Ende März 2003 abgeschlossen. Danach werden noch einzelne Werke, die in der Bibliothek des ZIM eingeordnet worden waren, überführt. Auch aus der Bibliothek des Schwerpunkts sollen themenrelevante Dubletten dem Archiv zur Verfügung gestellt werden.
Das Archiv soll wachsen und wir sammeln weitere Materialien zum Umfeld der Geschichte Uexkülls, des Instituts für Umweltforschung, der Umweltlehre und der Biosemiotik. Hierfür sind Spenden und Hinweise sehr willkommen.

Torsten Rüting