Erdbeben-Meßstation der Hamburger Universität

Geschichte:

Die Hamburger Erdbebenwarte ist aus einer Privatsammlung ihres Stifters Dr. Richard Schütt (1864-1943) hervorgegangen. Der Hamburger Kaufmann hatte ein teures Hobby: Erdbeben mit einem Horizontalseismographen zu messen. Vor allem aber sammelte er jegliche Bücher und Publikationen zum Thema Erdbeben und Seismik.
Die Horizontal-Pendelstation wurde am 17. Juli 1898 auf seinem Privatgrundstück im Stadtteil Hohenfelde in Betrieb genommen. 1903 wurde die Station als eine 'Hauptstation für Erdbebenforschung' in den internationalen Dienst gestellt. Dazu war es nötig, die Station unter staatlicher Aufsicht zu stellen. R. Schütt übergab die Station, mit dem zwei Jahre später fertig erstelltem Stationsgebäude, als Geschenk dem Staat. Die Station wurde außerdem dem Physikalischen Staatslaboratorium angeschlossen. Als Gegenleistung wurde er zum Vorsteher und Professor ernannt. Er bekam außerdem einen wissenschaftlichen Hilfsleiter - Dr. Ernst Tams (1882-1963) - und einen Diener.

Die Aufgaben einer 'Hauptstation' waren:
  • Erstellen von Bulletins. Was bedeutete, daß bei den aufgezeichneten Beben eine Zeitbestimmung des Einsatzes (auszählen der Sekundenmakierungen) und eine Lokalisierung des Epizentrums vorgenommen wurde.
  • Bei Beben in der Nähe wurde eine subjektive Befragung der Bevölkerung durchgeführt, um die Stärke des Bebens anhand der Mercalli-Cancani-Skala zu ermitteln.
  • Das Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten.

    Neben der Hamburger Station, mit dem Standort Jungiusstraße, waren acht weitere Stationen im Deutschen Reich entstanden. Die Baukosten der Meßstation betrugen 56.000 Reichsmark (zum Vergleich: Ein Arbeiter verdiente damals monatlich ca. 6 RM). Das Wesentliche am Bau der Station war die möglichst vollkommene Isolierung der sehr empfindlichen Registrierapparate. Die beiden Instrumentenräume waren so konstruiert, daß man sie als eigene Gebäude betrachten konnte. Die beiden Räume waren von den Wänden und Decken des restlichen Gebäudes Isoliert. Der Sockel der Meßgeräte war von dem Boden des Innenraumes zusätzlich getrennt, damit Personen keine Erschütterungen erzeugten, die die Registrierungen beeinflußten. Die Station war jeweils mit einem Wiechertschen Horizontal- und Vertikalseismographen ausgerüstet. Die Station blieb bis zum Jahre 1942 in Betrieb.





    Abb.1 Hauptstation für Erdbebenforschung
    in Hamburg.


    Abb.2 Von vorne gesehen.


    Abb.3 Von Osten gesehen, nun aufgestockt.



    Abb.4 Aufzeichnungsraum.


    Abb.5 Geräteraum.


    Die im Zweiten Weltkrieg beschädigte Station wurde am ursprünglichen Ort nicht wieder aufgebaut, da der zunehmende Verkehr zu große Störungen verursachte. Die Bodensockel der Geräte sind als einzigstes übriggeblieben. Sie sind heute noch im Keller der Physik-Hörsäle, die darauf errichtet wurden, zu erkennen.
    Als Ausweichquartier boten sich die ehemaligen Munitionsbunker im Hamburger Waldgebiet Haake am Stadtrand an. Viele Teile der Meßgeräte waren während des Krieges abhanden gekommen, und mußten anhand von Prospekten und mit viel Phantasie nachgebaut werden. Der Horizontalseismograph wurde 1952 in Betrieb genommen, 1953 folgte der Vertikalseismograph. Seit März 1954 erfolgen regelmäßige Auswertungen und Veröffentlichungen. Ab 1975 wurden die Wiechertschen Seismographen durch moderne elektromagnetisch betriebene Seismographen ersetzt, die einfacher zu bediehnen waren und blieben bis 1990 aktiv. Einen Nachteil besaßen die modernen Geräte allerdings: Sie hatten nicht die Auflösung der mechanischen Seismographen. Erst die 1990 in Betrieb genommenen Seismographen, die 3. Generation, konnten die Auflösung bei weitem überbieten.
    Die Bahnlinie in Richtung Cuxhaven verursachte kaum Irritationen bei den Aufzeichnungen, da ihre erzeugte Frequenz bekannt ist und herausgefiltert werden kann. Mit der Fertigstellung der nahegeliegenden Autobahn und dem darauf rollenden Schwerlastverkehr wurden die Unruhen im Haake-Boden und die damit verbundenen Erschütterungen zu groß. Die neue Heimstätte wurde schließlich in den Kalkhöhlen von Bad Segeberg gefunden. Die dort gemessenen Daten laufen über ISDN in der Haake zusammen.
    Viele der alten Schätze wie antiquarische Bücher (unter anderem: 'Geschichte und Naturbeschreibungen der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens welches an dem Ende des 1755sten Jahres einen großen Theil der Erde erschüttert hat' von M. E. Kant), astronomische Uhren (Pendeluhren), Fotos, Aufzeichnungen, Berichte und die Wiechertschen Seismographen stehen in einem der Haake-Bunker und können von Interessenten, nach Absprachemit dem Geophysikalischen Institut, eingesehen werden. Für die Einrichtung eines Museums fehlt bis jetzt leider noch das Geld.



    Abb.6 Antiquarische Bücher und Aufzeichnungen.


    Abb.7 Antiquarische Uhr, zur exakten Zeitbestimmung.




    Wiechert-Seismographe der Hamburger Erdbebenwarte

    Geräte:

    Die in der Erdbebenwarte verwendeten seismischen Apparate bestanden aus einem Wiechertschen Horizontalseismographen (Pendelmasse 1000 kg) zur Aufzeichnung des horizontalen Anteils der Bodenbewegung (Nord-Süd- und Ost-West-Richtung) und einem Wiechertschen Vertikalseismographen (Pendelmasse 1300 kg) zur Aufzeichnung der vertikalen Komponente. Beide Geräte sind mit einer Vorrichtung zur mechanischen Registrierung (Rußschreibung) versehen und zeichnen sehr schnelle Bodenbewegungen auf, bei denen die schwere Masse stationär bleibt.Die Vergrößerung hierbei beträgt Zweihundert. Die großen Massen sind erforderlich, um die Trägheits- bzw. Reibungswiderstände, welche durch die Mechanik entsteht, mittels ihres großen Trägheitsmomentes möglichst aufzuheben. Zur raschen Unterdrückung der Eigenschwingungen, deren Periode bei dem Horizontalseismographen rund 10 Sekunden und bei dem Vertikalseismographen 5 bis 6 Sekunden beträgt, ist eine Luftdämpfung vorhanden.
    Bei dem Horizontalseismographen ist die 1000 kg schwere Masse als umgekehrtes Pendel so aufgestellt, daß sie theoretisch nur in einem Punkt unterstützt ist, so daß sie sich in labilem Gleichgewicht befindet. In Wirklichkeit wird sie in äquivalenter Weise von einem auf dem Fundament sitzenden cardanischen Federngehänge getragen und vor dem Umfallen durch den leichten Gegendruck je eines Paares elastischer Blattfedern bewahrt, welche sie in den beiden Komponenteneinrichtungen drehbar mit dem umgebenden Gerüst verbindet. Durch die variierbare Beanspruchung der Blattfedern kann die Eigenperiode des Pendels reguliert werden. Als Maß der Empfindlichkeit kann gelten, daß der Apparat auf eine dauernde Neigung um 1 Bogensekunde (1/206.000 des Kreisumfanges) in der Nord-Süd- oder in die Ost-West-Richtung mit einem ''Indikatorausschlag'' (Ausweichung der Schreibnadel aus ihrer Ruhelage) von rund 24mm reagiert.
    Bei dem Vertikalseismographen besitzt die 1300 kg schwere Pendelmasse vertikale Führung, indem sie an starken Spiralfedern aufgehängt ist. Zur Erhöhung der Eigenperiode ist auch hier eine, in diesem Fall aber etwas kompliziertere Astasierungsvorrichtung angebracht. Auf eine dauernde Änderung der Schwerkraft um 1/206.000 ihres Betrages, d.h. auf eine vertikale Beschleunigung von nicht ganz 1/2 Zehntel-Millimeter (0,048mm pro Sekunde), antwortet der Apparat mit einem Indikatorausschlag von etwa 7mm.


    Abb.8 Kammer zur Einrußung des Meßpapieres


    Abb.9 Mit dieser Maschine wurde das Meßpapier
    eingerußt, auf dem die Bewegungen eingeritzt wurden


    Abb.10 Wiechertscher Horizontalseismograph


    Abb.11 Wiechertscher Vertikalseismograph

    Messung:

    Neben einwandfrei registrierenden und genügend empfindlichen Seismographen ist aber auch ein anderes Gerät für eine sachgemäß ausgerüstete Erdbebenwarte erforderlich: Eine zuverlässige Uhrenanlage, welche die Zeit absolut wenigstens auf 1 Sekunde genau gewährleistet. Diese Genauigkeit ist angesichts der schon in den obersten Erdschichten ansehnlichen Geschwindigkeiten der Erdbebenwellen von rund 3 bis 6 km pro Sekunde mindestens zu fordern. Berechnungen, die mit der Ermittlung der Herdtiefe eines Bebens zusammenhängen, verlangen eine Genauigkeit von 1/10 bis 1/20 Sekunden.
    Um nun aus den Registrierlinien der Einsätze seismischer Wellenzüge auch die Zeit entnehmen zu können, wird bei der Rußschreibung die Schreibarme jede Minute für 3 Sekunden vom Registrierpapier, das durch ein Uhrwerk gleichmäßig fortbewegt wird, abgehoben, so daß in regelmäßigen Abständen kleine 'Minutenlücken' entstehen, die abzuzählen sind. Außerdem gibt es auch 'Stundenlücken', bei dem der Abstand 10 Sekunden beträgt.
    Beträgt dann z.B. die Fortbewegungsgeschwindigkeit des Registrierbogens 15mm in der Minute, wie dies bei den Wiechertschen Seismographen der Fall ist, so kann man leicht durch Abmessungen zwischen den einzelnen Minutenlücken auch die Sekunde bestimmen, indem ja in unserem Fall 1 Sekunde immer noch 1/4 mm entspricht.
    Die Schreibarme werden immer genau am Ende der 57. Sekunde abgehoben und am Ende der 60. Sekunde wieder gesenkt. Dies geschieht mit Hilfe eines elektromagnetischen Relais. Dieser ist mit einer Uhr gekoppelt, der regelmäßig zu den angegebenen Zeiten den Stromkreis unterbricht bzw. schließt. Um die Stunde leichter ermitteln zu können, fällt die Minutenlücke zu jeder vollen Stunde fort, so daß dann eine ununterbrochene Linie von fast 30mm Länge entsteht. Es ist dabei natürlich sehr wesentlich, daß die Registrierbogen völlig gleichmäßig fortbewegt werden, da sonst die Interpolation zwischen den aufeinanderfolgenden Minutenmarken ungenau wird.
    Um einen möglichst gleichmäßigen Gang zu gewährleisten, ist außerdem bei dem Horizontalseismographen ein Zentrifugalregulator und bei dem Vertikalseismographen ein Kegelpendel eingeschaltet. Für den Zeitdienst verfügte die Hamburger Erdbebenstation über drei astronomische Uhren, die regelmäßig z.B. mit der Sternenwarte in Bergedorf oder Potsdam synchronisiert wurden.


  • by André Polster, März 2001
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    Letzte Änderung: Gudrun Wolfschmidt, 1. Nov. 2020