Universität Hamburg - Institut für Geschichte der Naturwissenschaften, Mathematik und Technik



Fünftägige naturwissenschafts- und technikhistorische Exkursion des IGN

Exkursion nach Budapest, Szombathely (Ungarn)

mit Frau Prof. Gudrun Wolfschmidt


4.-8. Juli 2000


Bericht von Joachim Feltkamp

Man braucht nur einen kurzen Blick auf das minutiös organisierte Programm der Exkursion zu werfen, und sieht sogleich: hier wurde kein sonnig-wonnig Abschied vom noch laufenden Semester im warmen Süden genommen. Das Wetter hat mit 30°C im Schnitt zwar nichts zu wünschen übrig gelassen, aber es wurde mehr studiert als amüsiert. Uni auf Rädern? Ja, sollte mehr gefördert werden. Intensives Lernen verbunden mit vielen schönen Erlebnissen und neuen Eindrücken, und außerdem gemeinschaftsfördernd, was gegen den Unialltag, den man gerade als zielstrebiger Student in der Regel allein unter vielen verbringt, eine hochwillkommene Abwechslung ist. Bevor wir in die Technik- und Naturwissenschaftshistorischen Sedimente Ungarns hinabstiegen, hatten wir noch das zehnstündige Vergnügen mit einem High-Tech-Zug der DB und wurden mit jedem Umsteigen peu-a-peu an den vor uns liegenden geschichtlichen Diskurs technischer Innovation gewöhnt. Der letzte Teil der Anreise und die ersten Eindrücke Ungarns waren dennoch die schönsten. In leichter Müdigkeitstrance von der langen Fahrt schaukelten wir mit einem klappernden Schienenbus durch horizontweite Sonnenblumenfelder in der Abenddämmerung.

In Szombathely wurden wir schon erwartet und freundlich in Empfang genommen. Wir bestiegen vier bereitstehende Autos und machten uns gleich auf den Weg zum Gothard-Observatorium. Dort angekommen hatten wir immerhin genug Zeit die Taschen abzustellen und begannen gleich mit der ersten Führung. Zu besichtigen war die Ausstellung historischer Astronomieinstrumente, die zum größten Teil von dem berühmten ungarischen Astronomen Gothard angeschafft oder hergestellt und benutzt wurden. Ein historisches Experiment war auch schon vorbereitet, das (trotz provisorischer Reparatur mit einem Gurkenglas) funktionierte (oder besser funkte, im Hellen und auch im Dunkeln. Doch wir waren schon irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit und starrten mit müden, glasigen Augen ins Licht.) Es war wohl ein Hochspannungs.... experiment.

Die Räumlichkeiten des Observatoriums sind mit starkem Einsatz der eigenen Arbeitskraft modernisiert worden und bieten der Forschungs- und Ausbildungstätigkeit des Instituts den nötigen Komfort. Daß dieser historische Ort nicht belassen und gepflegt wird, wie es ihm eigentlich gebührt, hat den einfachen Grund, daß er im Dienst der Wissenschaft noch dringend benötigt wird und Mittel fehlen Alternativen zu schaffen. Im Keller des Instituts ist man aber mit vereinten Kräften dabei, ein Museum einzurichten, das der ™ffentlichkeit ständig zugänglich sein soll. Nach der Führung sollten wir noch einen kleinen Dokumentarfilm über Gothard und die Gründung seines Institutes zu sehen bekommen. Im Anschluß an den Film, so versprach man uns mit leuchtenden Augen, sollte es noch eine kleine šberraschung geben. Wem aber schon während des Films vor Hunger und Erschöpfung das Wasser im Mund zusammenlief, der sollte auf eine harte Probe gestellt werden. Die šberraschung war noch ein Film, ein Film von der letzten Sonnenfinsternis, deren Kernschatten auch durch Ungarn lief. Man gewährte unseren neugierigen Sinnen schließlich noch einen kurzen Blick auf das Institutsteleskop, bevor wir zur Nachtruhe auf den Campingplatz entlassen wurden. Frau Wolfschmidt hat mit ein paar Flaschen Bier, die sie irgendwo auftrieb, für einen letzten Höhepunkt des Tages und für den dringend nötigen Schlaf gesorgt.

So abrupt, wie der erste Tag endete, so begann der zweite. Zur unchristlichen Stunde 7.30 Uhr rafften wir uns auf, wie eine römische Legion mit Marschbefehl, zur nächsten Bildungsetappe. Auf dem Programm stand eine berühmte Ausgrabungsstätte: der Ruinengarten István Járdányi-Paulovics mit den letzten erhaltenen Fundamenten der spätantiken Stadt Savaria. Im schattigen Garten von Kathedrale und Priesterseminar liegen die Ruinen einer römischen Wegzollstation und ein gut erhaltenes Stück der Bernsteinstraße. Zu den wertvollsten Funden sind wohl die Grundmauern des Palastes mit seinen ehemals prächtigen Mosaiken zu rechnen. Dank der guten Organisation, die ja auch eine Stärke der Römer war, erwartete uns schon ein vorzüglicher Führer, der uns zu vielen Funden Details in fließendem Deutsch erklären konnte und keine Frage unbeantwortet ließ. Der freundliche Mann führte uns auch auf den schönsten und sehenswertesten Wegen der kleinen Stadt, vorbei am Iseum - einem spätantiken Isis-Tempel - zum Savaria-Museum, wo er seine Führung durch die Ausstellung fortsetzte. Die Ausstellung umfaßt mit vielen wissenschaftlich dargebotenen Objekten die Vor- und Frühgeschichte der Gegend bis ins Mittelalter hinein. Im Kellergewölbe des Museums befindet sich ein Lapidarium, eine äußerst reichhaltige Sammlung von römischen Schrifttafeln und Skulpturen, die uns von unserem Führer wieder lobenswert detailliert erklärt hat. (Auch sonst hat unser Führer einfach an alles gedacht: er blieb zwischenzeitlich stehen und sagte: ''So, jetzt haben Sie etwas Zeit zum ausrasten.'') Nachdem der erste Bildungshunger halbwegs gestillt war, hatten wir dann zwei Stunden, um für das leibliche Wohl nachzusorgen. Für die meisten war diese kurze Pause mit einer erfreulichen Entdeckung verbunden, denn die Restaurant- und Lebensmittelpreise Ungarns ermöglichen auch dem minderbemittelten Studenten den einen oder anderen bachantischen Taumel. Es gab jedenfalls lauter zufriedene Gesichter beim Treffen an den Autos. Das Team des Gothard-Observatoriums, das uns in Szombathely schon in Empfang genommen hatte, übernahm auch die Chauffage zum Bahnhof. Dort gab es allerdings kleine Irritationen bezüglich unserer Gruppenkarte, welche mit längeren Verhandlungen am Bahnhofsschalter aber wieder aus der Welt geschafft werden konnten. Schuld war der für Gruppenreisen zuständige Schalterbeamte am HH-Dammtor.
Plangemäß fanden wir uns am frühen Abend in Budapest ein. Unterwegs zu unserer Unterbringung im Studentenwohnheim ließ Frau Wolfschmidt es sich nicht nehmen, bepackt mit Rucksack und schwerer Reisetasche zu demonstrieren, wie man eine metropolitane Kreuzung stark pulsierender Hauptverkehrsadern längs, quer und dann sogar noch diagonal ohne Ampel passiert. Ein Nervenkitzel der besonderen Art. Wir weniger mutigen Studenten haben die adrenalinsparende Unterführung genommen (Zugegeben: dass diese nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen war). Die Unterbringung im Studentenwohnheim der Eötvös-Universität lag ganz in der Nähe des bekannten Gellert-Hotels mit seinem ebenso bekanntem Thermalbad. Von dort war jeder beliebige Ort in der Stadt ohne große Mühe erreichbar. Die Koordination der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln hat Frau Wolfschmidt zielsicher übernommen. Unsere letzte gemeinsame Aktion für diesen Tag war ein kurzer Besuch des Gellert-Hotels, wo wir für alle Gruppenmitglieder sog. Budapest-Cards anschafften, die drei Tage lang zum einen gültige Fahrkarte für alle öffentlichen Beförderungsmittel ist, und zum anderen freien Eintritt in alle Museen und Galerien gewährt. (Für ca. DM 25,- eine äußerst lohnende Anschaffung!!) Den Abend verbrachten wir auf Entdeckungstour in kleinen Gruppen durch die Stadt.

Von nun an waren wir organisatorisch mehr auf uns selbst gestellt und deshalb lief alles sehr viel entspannter ab. Der offizielle Teil des dritten Tages unserer Reise begann um 9.00 Uhr im Ungarischen Elektrotechnischen Museum - dem Magyar Elektrotechnikai Múzeum. Das Museum liegt in dem ehemals zentralen Transformatorwerk Budapests der ideale Ort. Auch hier empfing uns ein Deutsch sprechender Führer, der uns gut in das Museum einwies. Zunächst war eine kleine Vorführung angesetzt, wie sie wohl zur Zeit der Entdeckung des großen Wunders der Elektrizität üblich war, also mit an-die-Hände-fassen und Haare-zu-Berge-stehen (immer wieder ein Spaß!). In die Vorführung waren Informationen über ungarische Beiträge zur elektrotechnischen Forschung integriert, so bestimmte Typen von Wechselstrommotoren und Transformatorspulen.

Das Ei des Columbus wurde mittels eines Wirbelstromes auf die Spitze gestellt und auch hier funkte es kräftig, als eine historische Apparatur zur Ladungstrennung Hochspannung erzeugte. Im Anschluß an die Vorführung führte man uns durch die Ausstellung. Es gibt dort eine große Sammlung der ersten elektrischen Haushaltsgeräte (jedes für sich eine respektable Gefahrenquelle), eine Sammlung verschiedener Modelltypen von Hochspannungsmasten und ein 1:1 Modell des eisernen Vorhanges, d.h. einer ehemaligen russischen Grenzanlage mit Hochspannungszäunen und elektrischem Frühwarnsystem. Im Flur des Museums hängt eine Schautafel, die in geschichtlichen Entwicklungsschritten den Ausbau des Stromnetzes Budapests wiedergibt, dessen Herzstück das Museum bzw. das ehemalige Transformatorwerk war.
Das nächste Besichtigungsobjekt auf unserem Tagesplan war die große jüdische Synagoge von Budapest. Hier hörten wir den ersten eigenen Beitrag: das Referat einer Studentin über baustilistische Merkmale von Synagogen und den dies betreffenden Einfluss anderer Kulturen. In das prachtvolle Kirchenschiff konnten wir nur einen kurzen Blick werfen, doch eine Ausstellung mit verschiedenen Kultgegenständen und Ritualutensilien des Judentums, Schriftrollen, Gebetsbüchern und Altarschmuck war zu besichtigen. Ferner gab es eine Sonderausstellung zur Würdigung berühmter jüdischer Persönlichkeiten, die teilweise durch den Nationalsozialismus geschädigt oder umgebracht wurden. Wir konnten auf die Ausstellung nur einen oberflächlichen Blick werfen. Die Wissensfülle, welche nötig wäre, um die Inhalte der Ausstellung in Ansätzen zu verstehen, hätte uns vermutlich auch kein Fremdenführer vermitteln können. Hier klafft sicherlich eine Bildungslücke.

An diesem Tag gings Schlag auf Schlag: Das nächste war das U-Bahn-Museum. Ein kleines Museum in einem ehemaligen, sehr engen Tunnelabschnitt demonstriert die Bauweise der ersten Budapester Metro. Die Tunnel wurden zwischen Straßendecke und Kanalisation gebaut. Deswegen waren die Tunnel nicht höher als 2,85m. Im Tunnel war es kühl, wir nahmen Platz und hörten das nächste Referat eines Kommilitonen über Bau und Weiterentwicklung des Budapester Metronetzes. Hier fand sich auch ein lustiger Aufseher, der sich bereit erklärte, das wohl einzige vollständige Gruppenfoto zu schießen.

Wir legten noch eine kleine Pause ein, ehe der letzte große Punkt der Tagesordnung anvisiert wurde, der auf jeden Fall ein Höhepunkt der Reise war: Die Ruinen der römischen Bürgerstadt Aquincum und sein Amphitheater im Außenbezirk Szentendre, das Amphitheater der Militärstadt, die Termalbäder der römischen Legionäre und zuletzt die Hercules-Villa, die sich ein römischer Soldat nach seiner Entlassung aus der Legion hat bauen lassen, und in deren šberresten immer noch die schönen Mosaike von einst enthalten sind. Diese Orte und vor allem die Bürgerstadt Aquincum geben noch am ehesten einen lebendigen Eindruck der römischen Lebensweise wieder, des Fleißes und Gehorsams, der Kunstfertigkeit aber auch der Grausamkeit dieser Herrscher. Anhand eines Grundrisses der Ruinenstadt haben wir uns einigermaßen orientieren können und das ein oder andere zerfallene Gemäuer als Basilica, (ehem.) Altargewölbe, als Werkstatt oder Wohnhaus identifiziert, doch längst nicht alles, denn dafür ist die Ruinenstadt viel zu groß. Auch zu Aquincum hatte eine Kommilitonin ein schönes Referat ausgearbeitet, doch ein Fremdenführer wäre sicher in Betracht der Fülle der Ausgrabungen und Kunstschätze eine lohnende Ergänzung gewesen.
Gegen 20 Uhr war Feierabend und alle freuten sich auf ein leckeres Essen im Restaurant und ein paar feuchte Tropfen in schöner Umgebung mit Musik. Und so war es dann auch.

Der nächste Tag begann mit kleinen Schwierigkeiten. Wir suchten nach dem Technischen Museum ''Országos Múszaki Múzeum'' und nach unserem Stadtplan hätten wir schon mindestens dreimal mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken daran vorbeigelaufen sein müssen, doch das Museum war nicht da. Es kamen Hilfsbereite Bauarbeiter hinzu, von denen niemand deutsch verstand, mehrere einfache Passanten, die zwar alle in irgendeine Richtung wiesen, deren Rat aber zweifelhaft schien, bis schließlich ein Taxifahrer das Rätsel seelenruhig löste, während sich hinter seinem Taxi ein längerer Stau ungeduldig unkender Ungaren bildete. Unser Stadtplan zeigte das Budapest von vor ca. eineinhalb Jahrzehnten. Inzwischen hatte man durch das Viertel in welchem wir uns befanden eine riesige Bresche geschlagen und eine neue Straße gebaut, das Museum liegt auf der anderen Seite dieser Straße, die wir mit unserem historischen Stadtplan zwangsläufig falsch identifizierten. Eine Stunde Verspätung, dafür größere Wiedersehensfreude. Alles hat Vor- und Nachteile.
Das Országos Múszaki Museum hat gegenüber dem Elektrotechnischen Museum noch keineswegs seinen idealen Ort gefunden. Die aus allen Nähten platzende Sammlung von Maschinen und Mechaniken jeder Art befindet sich in schlecht zugänglichen Lagerhallen, die nur schwer einen šberblick ermöglichen. Die Schmuckstücke der Sammlung sind jedoch etwas in den Vordergrund gerückt; So ein Lokomobil, eine mobile Dampfmaschine für die Landwirtschaft, ein alter russischer Großrechner, dessen Arbeitsspeicher so groß wie ein Fernseher ist und zufällig offen stand, so daß wir seine Funktionsweise ergründen konnten. Da jeder Bit deutlich sichtbar war, konnten wir seine Kapazität ausrechnen: ca. 80.000 Byte. Ein doppelrotoriges Helikoptermodell, aus der russischen Forschung, vermutlich aus der Zeit, als man sich noch nicht über die ideale Form einig war. Das alles sind zwar Zeugnisse eines kaum mehr fassbaren Fortschritts, aber die Dinge danach anzuschauen, wie sich danach alles weiter entwickelte, wodurch ja auch die Dinge selbst zum verschwinden gebracht wurden, weil sie veralteten, ist wohl kaum die angemessene Perspektive. Das besondere dieser Ausstellung eröffnet gerade eine kongruente Perspektive auf die Dinge, nämlich der Erfindergeist und die Faszination der Technik, die in unserem heutigen hochtechnologischen Bewusstsein annähernd abgestorben ist, im Országos Múszaki Museum vielleicht aber wieder ein wenig reanimiert werden kann. Das älteste Stück der Sammlung ist ein amorpher kleiner Schmelzofen aus der Bronzezeit.
Anschließend statteten wir der Mensa der Technisch-Naturwissenschaftlichen Hochschule einen kleinen Besuch ab und inspezierten die feilgebotenen Speisen auf Verbraucherfreundlichkeit. Testurteil: insgesamt sehr befriedigend, besonders die Nachspeisen. Bei vegetarischer Kost allerdings ein recht dünnes Angebot. Nachahmungswürdige Idee: Im Speisesaal sind zwei Mikrowellen aufgestellt, mit denen die Speisen selbst wieder warm gemacht werden können.
Der anschließende Besuch des Nationalmuseums wurde aus Zeitgründen gestrichen. Wie wir später erfuhren, waren die meisten Abteilungen ohnehin im Moment geschlossen. Statt dessen machten wir uns auf den Weg zur TU. Im Park hörten wir den Vortrag eines Kommilitonen über den Physiker und Aerodynamiker T¢dor Kármán (1881-1963). Dieser wurde am 11. Mai 1881 in Budapest geboren. Sein Beschäftigungsfeld war die theoretische Aerodynamik. Er war 1913-29 Professor in Aachen und von 1930-49 Direktor des Guggenheim Aeronautical Laboratory am California Institute of Technology in Pasadena. Während wir einiges aus dem Leben des Physikers hörten, hatten wir seine Büste vor Augen. Diese befindet sich neben anderen von Persönlichkeiten der Naturwissenschaft in einem Rondell im Park der TU.
Mit unserem wissenschaftshistorischen Stadtrundgang begannen wir gegen 15 Uhr am Burgberg, an der Talstation der Standseilbahn. Mit der Bahn, die Strecke wurde 1870 gebaut, fuhren wir zur Budaer Burg und dem Burgviertel hinauf. Auf dem Burghügel genossen wir die Aussicht, die Sonne und den Vortrag über die Geschichte des Burgpalastes, den wieder einer der Studenten erarbeitet hatte. Die ursprünglich mittelalterliche Burg wurde von den Türken zerstört und unter Maria Theresia 1749 wieder aufgebaut. Nach dem 2. Weltkrieg brannte der neue Palast aus und von neuem wurde und wird er restauriert. Wir streiften durch die engen verwinkelten Gassen, um zur Matthiaskirche zu gelangen. Die Keller der Häuser wurden im Mittelalter unter einander zu Verteidigungszwecken verbunden. Wir stiegen die Stufen zur ''Burghöhle'' hinab, schenkten es uns aber, durch sie hindurch zu laufen. Ferner warfen wir auf dem Weg einen Blick in das Apothekenmuseum mit seinem Aufbau aus dem 18. Jahrhundert. Die Mathiaskirche, umgeben von der barocken Dreifaltigkeitssäule und dem alten Budaer Rathaus, erhielt ihr heutiges Erscheinungsbild 1873-96. Von einem anderen Studenten, der sich mit der Geschichte vertraut gemacht hatte, erfuhren wir von der Krönung Kaiser Franz-Joseph I. und der Schatzkammer, die sich in der Kirche befindet.
Wir setzten unseren wunderschönen Spaziergang im strahlenden Sonnenschein auf dem Burgberg von Buda fort. Wir erreichten die Burg mit der Standseilbahn, die von der Donau ca. 200m den Berg steil hinauffährt. Von Oben hat man bei jedem Licht einen reizvollen Blick über die Stadt, ein Motiv, das überall in der Stadt auf Postkarten zu sehen ist. Die Anlagen des Palastes, die wir leider nur von außen besichtigen konnten, enthalten jede Menge Sehenswürdigkeiten, die täglich von zarten Klängen klassischer Musik eingerahmt werden. Allein in einer Stunde sahen wir dort zwei Violinensolisten und ein Duett mit Cello und Gitarre. Besonders ist mir ein großer Springbrunnen in Erinnerung geblieben, der ein lebensgroßes Jagdmotiv am Felsen darstellt. Wir gingen gemächlich durch das Burgviertel, das vom Autoverkehr weitgehend abgeschnitten ist. Eine Hauptattraktion des Burgberges ist ein großes geheimnisvolles Labyrinth, dessen Gänge tief unter der Oberfläche liegen. Wir hatten nicht ausreichend Zeit uns einen Eindruck zu verschaffen, denn unser nächstes Ziel war die Mathäus-Kirche auf dem Burgberg. Diesem Bau vergleichbare Kirchen sind sicher selten. Die meisten Kirchen betritt man, indem man außen einige Stufen zum Portal hinaufsteigt, ehe man durch ein massives Tor den hellen Innenraum betritt. Bei der Mathäus-Kirche führen die Stufen umgekehrt hinter einer unscheinbaren Tür innerhalb der Kirche hinunter in den kühlen und dunklen Innenraum, so als stiege man in eine Höhle oder Grabkammer hinab. Weil nur ein fahles Licht durch die kleinen hoch liegenden Fenster hinein dringt, brennen auch tagsüber Kerzen und Lampen und schaffen eine geistvolle und beinah mystische Atmossphäre. Der Innenraum ist mit schönsten Fresken des späten Mittelalters und prunkvollem Utensilien und mehreren Altären ausstaffiert. Schon das kurze Umsehen in der Mathäus-Kirche, ohne jede Erläuterung zum Interieur ist ein religiöses Erlebnis. Dieses Gefühl wurde noch gesteigert, als wir beim Herauskommen ein junges Mädchen mit voller Stimme mittelalterlichen Minnesang rezitieren hörten, durchsetzt von Harmonien, die kaum noch geläufig sind und unmittelbar den Incharme des Mittelalters verbreiteten.

Auf unseren Rundgang steuerten wir weiter auf eine Kultstätte der Türken, das Mausoleum von Gül Baba, einem türkischen Schriftgelehrten. Die Pilgerstätte war zunächst verschlossen, und als wir versuchten das Gittertor zum Garten zu öffnen, kam ein Sicherheitsmann und erklärte uns etwas, ohne dass wir es verstanden. Hinter ihm stand noch ein anderer Mann, der Türke hätte sein können, aber wohl doch nicht war. Wir schoben unsere türkisch sprechende Kommilitonin nach vorne, damit sie die Verhandlung übernähme, und nach einem Gespräch, das von völligem Unverständnis bestimmt war, nahm die Verhandlung ein positive Wendung. Der Mann lächelte, schloss auf und ließ uns ein. Wir bedankten uns und traten in das Heiligtum. Hinter einer weißen und verzierten Säulenfassade vermuteten wir zunächst den Eingang zum Mausoleum, und auch hier traten wir mit der ganzen Reisegruppe ein, doch schon nach kurzem Umsehen wurde klar: diese doch etwas ärmliche Behausung muß die Schlafgrotte des Grabhüters mit seinen drei Habseligkeiten sein; also Rückwärtsgang und schnell wieder raus. Unser Verhalten schien keinem der beiden bedenklich zu sein. Wir entschuldigten uns trotzdem mit einem verschämten Lächeln und ließen uns höflich zu einem Steinbecken bitten, wo zuerst die Hände gewaschen werden sollten, ehe man sich umsieht. Das Mausoleum steht wie ein Pavillon in der Mitte eines kleinen sehr ordentlichen angelegten Gärtchens, an der einen Seite ist ein friedlich plätschernder Springbrunnen, auf der anderen Seite ein Säulengang, von dem aus man wieder einen schönen Blick auf die Donau und das Pester Ufer hat. Die Kommilitonin, welche uns auch schon zum Einlass verhalf, hatte einen kleinen Vortrag über den Derwisch Gül Baba ausgearbeitet und vor Ort referiert. Wir bedankten uns noch vielmals für die Freundlichkeiten, die man uns entgegenbrachte, und nahmen Abschied von dem friedlichen kleinen Idyll.
Eine letzte Station unseres Tagesplanes stand uns noch bevor: Das Konkoly Observatorium auf dem Szabadság-hegy (Freiheitsberg). Frau Wolfschmidt rief schon mal dort an, um unsere Verspätung anzukündigen. Mit dem Bus ging es ein gutes Stück stadtauswärts den Berg hinauf, und weiter zu Fuß. Bei unserer Ankunft erwartete man uns schon in dem altehrwürdigem Hauptgebäude. Gegenüber den etwas älteren Observatorien, deren Teleskope unter einer Kuppel auf dem Dach sich befanden, ist die Bauweise des Konkoly Observatoriums eine Verbesserung. Aufgrund der aufsteigenden Wärme, die beim Heizen des Hauses entsteht, hat man die Teleskope in einem abseits stehenden Kuppelbau untergebracht. Das größte hier installierte Teleskop (vergleichbar mit dem zweitgrößten in HH-Bergedorf) mag zwar schon älterer Bauart sein und technisch überholt, ist aber immer noch im Dienst der Wissenschaft. So berichtet der freundliche Herr, der uns das Institut vorstellte, dass er auf einem Kongress zum Thema des Nutzens kleinerer Teleskope war, und dass es eine ganze Bandbreite aktueller Forschungsaufgaben dafür gibt, welche von größeren Teleskopen (in Chile oder im Orbit) zwar besser gemacht werden könnten, dort jedoch wegen vergleichsweise geringerer Relevanz und zu hoher Benutzungskosten immer zurückgestellt werden müssen. In der Bibliothek haben wir auch zur schon fortgeschrittenen Stunde in ihre Lektüre vertiefte Studenten angetroffen. Na ja, Astronomie ist ihrem Wesen nach eben ein nächtliches Geschäft, genau wie die Gastronomie.
Den Heimweg vom Freiheitsberg haben wir mit der Zahnradbahn gemacht, welche auch älteren Baujahres und eine Sehenswürdigkeit an sich ist. Weil wir den Anschluss knapp verpassten, haben wir es uns auf dem Bahnsteig gemütlich gemacht, und das Kurzreferat einer Kommilitonin über einen bekannten ungarischen Mathematiker gehört, einen Mitbegründer der nichteuklidischen Geometrie war: János Bolyai (1802-1860). Während der Fahrt wurde immer noch heiß diskutiert über die ein oder andere Verständnisschwierigkeit. Die letzten Schritte zum Haus in stockfinsterer Nacht machten wir im strömenden Gewitterregen, und zu Hause wurde es nochmal richtig gemütlich.

Der letzte Tag unserer Reise. Gleich morgens mussten wir die Zimmer räumen und unsere Sachen zum Bahnhof in die Gepäckaufbewahrung geben. In der Bahnhofshalle schnaufte ein Dampflok mit einigen sehr alten, kleinen Personenwaggons und es blies eine Blaskapelle: perfekter Hintergrund für ein schönes Abschiedsfoto. Doch wir hatten noch bis 15.00 Uhr Zeit für die ein oder andere Besorgung für die Fahrt oder Souvenirs, einen kleinen Stadtrundgang oder eine Besichtigung. Wir gingen getrennter Wege, einige berichteten, dass sie im Geophysikalischen Institut waren, andere im Nationalmuseum, wieder andere in einer Galerie und haben sich eine Fotoausstellung angesehen. Vor der langen Zugfahrt war es sicher auch mal nötig sich eine Auszeit zu nehmen, um alles ein wenig zu verarbeiten, und sich auf das einzustellen, was kommt. Die Fahrt fiel dann aber viel leichter, als angenommen. Wir unterhielten uns vergnügt, nebenan wurde Skat und Doppelkopf gespielt, es gab reichlich zu essen, weil alle Hamstereinkäufe mit ihrem restlichen Geld gemacht haben. In Wien stiegen wir in den Liegewagen um, der in einem Stück und die Nacht hindurch bis Hamburg fuhr. Die meisten haben gut geschlafen, obwohl es in diesen Liegewagen häufig nicht der Fall ist. Das lag sicher an den Anstrengungen der vorangegangenen Tage. Im Zug gab es sogar Frühstück mit Kaffee, was wir kurz vor der Ankunft noch gemeinsam verzehrten. Und um 8.15 Uhr am Morgen in HH-Altona auf Gleis 6 im leichten Nieselregen war wieder alles beim Alten.



Gudrun Wolfschmidt Hamburg, 23. März 2001